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Apathisch für Anfänger

Junges Schauspielhaus
Apathisch für Anfänger

Wenn einem die Wahrheit zwischen den Fingern zerrinnt: »Apathisch für Anfänger«

Text: Angela Dietz / Foto: Sinje Hasheider

Als Groteske ist „Apathisch für Anfänger“ für ein Publikum ab 15 Jahren im Jungen Schauspielhaus angekündigt. Bei Groteske könnte meinen, über die eine oder andere Szene lachen zu können. Daraus geworden ist aber eine Inszenierung, bei der während der Premiere fast überhaupt nicht gelacht wurde.

Das Theater hat sich inmitten der Geschehnisse, die tagtäglich als Flüchtlingskrise bezeichnet werden – wessen Krise ist das eigentlich? – eines Stücks des schwedischen Autors Jonas Hassen Khemiri angenommen, in dessen Mittelpunkt das Schicksal von Flüchtlingen steht.

Hintergrund sind reale Geschehnisse in Schweden. Dort erkrankten zu Beginn des Jahrtausends zahlreiche geflüchtete Kinder schwer, deren Familien eine Ablehnung ihres Asylantrags erwarteten oder schon erhalten hatten. Die Kinder hörten auf zu essen und zu trinken und wurden apathisch. Eine Protestbewegung versuchte die Abschiebung der Familien zu verhindern. Gleichzeitig verbreiteten sich Gerüchte, die Kinder seien von ihren Eltern vergiftet worden, um eine Abschiebung zu verhindern. Schließlich wurden die Familien tatsächlich abgeschoben.

Alle auf der kargen Bühne (von Fabian Wendling) sind in blasse Farben gekleidet. Niemand ragt heraus in Anne Baders Inszenierung von „Apathisch für Anfänger“, egal, auf welche Seite er oder sie sich auch jeweils schlägt. Gesucht wird die Wahrheit der Geschichte. Zuweilen verstärken die Bildausschnitte auf der Leinwand die Eindringlichkeit einer Szene.

Der Ermittler, gespielt von Hermann Book, wird von der von Sophia Vogel verkörperten „Stimme“ angetrieben, den Fall eines abgeschobenen Kindes und dessen Familie zu untersuchen. Er, der endlich Urlaub machen wollte, bringt die Geschichte trotz eigener Widerstände ins Rollen. Lieber möchte er die Meereswellen plätschern hören, als die kalte Stimme der Vernunft.

Danach fliegen dem Publikum die unterschiedlichen Wahrheiten der Figuren förmlich um die Ohren, gespielt von Philipp Kronenberg, Florence Adjidome, Florens Schmidt und Christine Ochsenhofer. Die Darsteller springen zwischen den gesellschaftlichen Funktionen und Rollen hin und her: Geflüchtetes Kind, Sozialarbeiterin, Schüler, Ministerin, Kind der Ministerin, Lehrer, Dolmetscher und Psychologe. Wurde eben noch engagiert gesprochen, wird gleich darauf mit zynischer Kälte verhandelt. Da ist immer wieder eine Distanz, nach großen Emotionen. Und so werden Verzerrung, Verschiebung und Aushöhlung der Wahrheit umso deutlicher.

Selten glaubt man als Zuschauer sicher zu wissen, wie sich die Geschehnisse zugetragen haben. Doch selbst dann, im unwahrscheinlichsten Moment, erscheint der gleiche Aspekt in einem anderen Licht und ist nicht mehr derselbe. Am Ende kennt niemand die Wahrheit. Es gibt sie nicht. Die Manipulation ist grenzenlos, und jeder hat mitgespielt, egal in welcher Absicht.

Haben die Eltern das Kind vergiftet? Hat der Vater versucht, sich umzubringen? Oder hat er sich doch nur oberflächlich verletzt, wie die Ministerin behauptet? Lügen alle Flüchtlinge, deren Geschichten einander so sehr ähneln? Müssen sie die Folterdetails immer grausamer schildern, um Verfolgung und Gefahr nachzuweisen? Was ist eine Lüge? Muss, wer täglich menschliches Elend sieht, zum Zyniker werden?

Bitter ist es, erkennen zu müssen, die Wahrheit nicht zu kennen, wenn ein „Fall“ aufgeklärt werden soll. Das apathische Mädchen und seine Familie werden abgeschoben. Die Stimme versiegt und blutet aus dem Mund. Alle gehen ab durch die Mitte. Nur dem Ermittler bleiben sämtliche Türen verschlossen. Er verzweifelt am moralischen Dilemma, die Wahrheit nicht gefunden zu haben und zu ahnen, dass es falsch war, ein Kind abzuschieben. Er schreit: „Sag’ doch was!“ Aber was? Vielleicht, dass es auf die Wahrheit in dieser Form nicht ankommt, aber vielleicht auf die Haltung und auf das daraus folgende Handeln. Oder stärkt man dadurch Lügensysteme?

Dramaturgin Stanislava Jević und Regisseurin Anne Bader haben aus der hochaktuellen Geschichte fein verwobene Szenen gemacht, die im einzelnen bei oft hohem Tempo trotzdem Raum für Interpretation lässt.

Weitere Aufführungen: 16. u. 17.2., 10.30 Uhr; 18.2., 19 Uhr, Junges Schauspielhaus Gaußstraße

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