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Empörung oder Schlafengehen?

"Empört Euch doch endlich!", Lichthof Theater
Empört Euch doch endlich!

Zwischen Langeweile und Rebellion: die Lichthof Youngsters

„Wir müssen doch irgendetwas tun!“ Der Techniker reagiert auf die auffordernde Handbewegung der Schauspielerin und schaltet das Licht über dem Publikum an. „Hat jemand eine Idee?“ Schweigen. Licht aus. Die Youngsters des Lichthof Theaters, die mit dem Stück „Empört Euch doch endlich!“ jetzt Premiere feierten, sind offensichtlich nicht die einzigen, die sich klein und machtlos fühlen. Wie reagieren auf einen Text, den ein früherer Widerstandskämpfer als Vermächtnis an die junge Generation schrieb? Wie umgehen mit Stéphane Hessels Streitschrift „Empört Euch!“, die sich seit ihrem Erscheinen allein in Deutschland über eine Million Mal verkauft hat? Wenn nicht einmal klar ist, worüber sich empören noch Sinn machen könnte und etwas verändern in der Welt. Wo doch selbst jedes Anders-Sein nur ein Vorgang von Anpassung ist und „das Leben ein Assessment-Center“.

Innerhalb von nur zweieinhalb Monaten entstand der Stücktext von Timo Kocielnik unter der Mitarbeit von Regisseur Johan Heß, den die Lichthof Youngsters überzeugend und intensiv auf die Bühne brachten. Es ist deutlich zu merken: Er hat mit ihnen zu tun, öffnet bei aller Fiktion den aufrichtigen Blick in ihre Gefühls- und Gedankenwelt, dieser Text, der sich mitunter sperrig gibt, fordert, zerfließt, ins unerträglich Kindische abgleiten möchte, um im nächsten Moment wieder intelligent die gesellschaftlichen Verhältnisse zu reflektieren. Alles dreht sich um die Frage: Was tun? Wofür aufstehen? Wie der Hilflosigkeit begegnen, die als grundlegendes Lebensgefühl alles Handeln begleitet? Die Jugendlichen gründen eine „Dagegen-Partei“, ihr erstes Projekt: Verzicht auf Geschenkpapier. Immerhin.

Bei aller Einigkeit im „Dagegen“ – Rivalität, Konkurrenz, Neid und Desinteresse werden die Akteure doch nicht los. Da findet sich eine plötzlich allein gegen alle anderen, paarweise entstehen Keilereien, es gibt Streit und eine pubertäre Abrechnung zwischen zweien, die einmal „miteinander gingen“. Wenn das mit dem Küssen wenigstens geklappt hätte … Wenn das wenigstens ansatzweise so gewesen wäre, wie man das woanders schon mal gesehen hat … Leben aus der Retorte, Orientierung fühlt sich auch anders an.

Im Grund hat jede(r) etwas, woran sich langweilen lässt: iPhone, Horoskope, Schönheitsideale, Facebook oder die Erinnerung an einen sterbenden Goldfisch. Ein Picknick statt fernsehen? Tierpfleger werden? Aus dem Fenster springen? Das Leben hält so viele Alternativen bereit. Bei allem Aufbegehren auch gegen die eigene Lethargie, bei allem verbalen Angriff auf Chefs und der Abwehr permanenter Kampfansagen. Schließlich legt sich die aufkommende Empörung und die Akteure legen sich – irgendwie zerrissen – wieder auf ihre Matratzen. Ein aufrichtiger Schluss, dabei kein Ende. Wenn Marie Rudolph, die eigene Songs voller Verzweiflung und Anklage in das Stück einbringt, ausdrucksstark zum kritischen Gesang anhebt: „Sorry, du bist schwach, hilflos und naiv. Alles, was du anpackst, geht schief“, fragt man sich (mit Stéphane Hessel): Wer weiß, was passiert, wenn die Jugend nach ihrem Nickerchen aufwacht? Vielleicht war es ja ein kräftebringender Schlaf.

Es ist sicherlich der konzentrierten Regiearbeit vom Johan Heß zu verdanken, dass aus einer Gruppe mit 14- bis über 20-jährigen Schauspielern ein solch homogenes Ensemble entstand, das die Altersunterschiede, die im Alltag oft in Welten gemessen werden, vergessen ließ.

Mit: Johnny Akuffu, Holly Arnaszus, Cane Caglar, Lea Fischer, Charlotte Jost, Meeno Kaja, Nora Krohn und Marie Rudolph. Regie: Johan Heß, Text: Timo Kocielnik, Ausstattung: Anja Wendler, Licht & Video: Sönke C. Herm, Songtexte & Gesang: Marie Rudolph; Regie-Assistenz: Friederike Sajdak, Lea Fischer.

Weitere Vorstellungen: Freitag, 25. Mai, und Samstag, 26. Mai, 20.15 Uhr; Sonntag, 27. Mai, 19 Uhr.

Text: Stephanie Schiller
Foto: Lea Fischer

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