Highlight / Schauspiel / Vorbericht

»Herr Paul« von Tankred Dorst

Hebebühne
Herr Paul

„Da blase ich meine Backen auf – das ist der Beweis, dass ich lebe!“ –
Herr Paul (Uwe Serafin) und Anita (Viktoria Reinhardt) in der alten Seifenfabrik

Foto: Hanke

Soviel Anfang war noch nie! Oder doch? Oder ist endgültig Schluss mit den Anfängen? Niemand jedenfalls scheint mit Anfängen noch viel anfangen zu können, und am Ende vielleicht sollte man von Anfang an die „Stunde Null“ grundsätzlich nur als Endpunkt einer Katastrophe verstehen. So würde unter allen Neubeginn sogleich ein Schlussstrich gezogen.

Zunächst aber beginnt die Sache ganz harmlos: Herr Paul lebt seit Jahrzehnten in einer zerfallenen Fabrik, geht niemals auf die Straße und verweigert jede Arbeit. Herr Paul kennt das Leben. Herr Paul leistet nichts, Herr Paul leidet nicht, Herr Paul scheint zufrieden. Herr Helm dagegen lechzt nach Veränderung. Leistung ist sein Credo, Dynamik seine Passion. Helm hat geerbt und strebt nun danach, sein Glück zu machen: Die alte Seifenfabrik soll zur Großwäscherei umgebaut werden. Voll Aufbruchstimmung will Helm ins satte Menschenleben greifen, wo sich so viel tut, da muss er auch noch tätig sein. Aber: Herr Helm hat kein Geld. Stattdessen hat er ein Problem: Herrn Paul. Denn der will nicht weichen. Herr Paul spricht mit den Menschen, die ihn besuchen, sieht in ihre Seelen und stellt ihnen wichtige Fragen. Zum Beispiel Lilo, Helms Freundin, die ziellos in der Welt herumirrlichtert und immer lachen muss, oder Schwarzbeck, Helms Geldgeber in spe, der vorgibt, mit aller Schlüpfrigkeit, zu wissen, „wo es so langgeht“, oder Anita, die Nachbarstochter, die trotz ihres jungen Alters bereits als schwachsinnig erklärt wurde und durchs Leben singt und tanzt. Und zu guter Letzt Pauls Schwester Luise, die nichts sieht, nichts hört und sich nicht einmischt und ihre Brosche sucht, die so schön über alles hinwegglänzt, was undurchsichtig ist. Es entsteht ein heilloses Durcheinander aus Interessen und Pflichten, Wünschen und Ängsten – und der unheilvolle Gedanke drängt sich auf: Hängt alles wie an unsichtbaren Fäden gezogen als grausiges Marionettentheater miteinander zusammen?

Hebebühne, Barnerstraße 30, 18., 19.11., 6., 7.12., Karten: 22 Euro (ermäßigt: 17 Euro).
Eine Produktion von Einwirkzeit

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