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Moskau, Tscherjomuschki

Opera Stabile
Moskau, Tscherjomuschki

Grund zum Feiern: In Tscherjomuschki gibt es Wohnraum für alle! Wirklich?

Text: Sören Ingwersen | Foto: Jörg Landsberg

Wohnungsnot – die gab es auch in Moskau der 1950er Jahre. So große Hoffnungen verknüpften sich mit den ersten Plattenbauwohnungen im neuen Trabantenstädchen Tscherjomuschki, dass Dmitri Schostakowitsch auf seine späten Tage sogar eine Operette über dieses Thema komponierte. Regisseurin Vera Nemirova hat „Moskau, Tscherjomuschki“ mit zehn Sängern des Internationalen Opernstudios in der Opera Stabile der Staatsoper Hamburg so stimmig und treffsicher in Szene gesetzt, dass man sich wünscht, alle Bauvorhaben würden mit so viel Witz und Tempo realisiert.

Ein Zementmischer und gipsweiße Sonnenblumen stehen am Rand der Spielfläche (Bühnen- und Kostümbild: Dimana Lateva) – lebendig ist hier nichts, außer die Hoffnung der neuen Mieter auf ein besseres Leben. Einige weiße Kisten, auf denen die Sänger sich kräftig in die Kurve legen, werden zum Bus, während die Mitglieder der Orchesterakademie mit einer flotten Polka ein hohes Straßentempo vorgeben. Alle wollen nach Tscherjomuschki: das jung verliebte Paar, alteingesessene Moskauer Bürger, Arbeiter und Arbeiterin, aber auch ein hoher Funktionär mit seiner aufgetakelten Frau, die von nichts so sehr überzeugt sind, wie von ihrer eigenen Wichtigkeit, und schnell erkennen müssen, dass es noch eine wichtigere Person gibt: den Hausverwalter. Der Kampf um den Schlüssel der ersten fertiggestellten Wohnung beginnt beim gemeinsamen Gemüseschnippeln im Park und endet beim Einzug in das begehrten Objekt: eine winzige Wohnzelle, angedeutet durch einen auf den Boden gezeichneten Grundriss, in die nach und nach alle Neu-Tscherjomuschkianer ihre Lampen und Möbel hineintragen.

Schmissige Walzer und gutlaunige Polkas geben dabei den Ton an – kaum eine Spur von den harmonischen Wagnissen und der Bissigkeit, vor denen Schostakowitschs Kammermusik und seine Sinfonien nur so strotzten. Und doch schwelt die Systemkritik im parodistisch überspannten melodischen Schmelz, den die jungen Sängerinnen und Sänger stimmlich hinreißend auskosten. Man spürt auch, wie die kluge Personenführung und die rhythmisch punktgenaue Choreographie von Christian Bakalov beim gesamten Ensemble eine große Spiellust entfacht. So entfaltet sich auf der Bühne ein strukturiertes Chaos (über dem schon bald die Abrissbirne pendelt) – angestachelt vom musikantischen Elan des elfköpfigen Orchesters unter der Leitung von Rupert Burleigh – bis sich die Blumen am Ende zu einem weißen Zaubergarten verdichten. Zauberhaft ist Nemirovas Lesart von dieser selten aufgeführten Schostakowitsch-Perle aber schon von Anfang an.

Weitere Aufführungen: 6. und 11.9., 20 Uhr, 8.9., 17 Uhr, Opera Stabile

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