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Peggy Parnass: „Ich hab so viele Fragen“

Malersaal, Schauspielhaus
Peggy Parnass

Mischt sich ein, wo es nottut: Autorin und Kolumnistin Peggy Parnass

Text: Debra Steinhaus / Foto: Heinz Winter, Schwarzenbek

Maurice Ravels bekannter „Bolero“ begleitet die hektischen Schritte des Publikums Richtung Zuschauerraum. Freie Platzwahl sorgt im Malersaal des Schauspielhauses gern für Gedränge beim Einlass. Und an diesem Abend sind die vorderen Plätze besonders beliebt: Man möchte ihr nah sein, dieser Frau, die man in Hamburg niemandem mehr vorstellen muss: Peggy Parnass. Noch bevor die 15-minütige Komposition endet, haben alle Platz genommen, im ausverkauften Theater notfalls auf den Stufen der Treppe. Und zum musikalischen Finale treten dann beide auf: Michael Weber, Schauspieler am Haus, und Peggy Parnass, lächelnd und winkend. Ihre Lieblingsmusik übernimmt die Einführung, weil sie mit diesem Werk „die große Leidenschaft“ verbindet, „nur, dass die dann plötzlich aufhört – schrecklich!“ kommentiert sie die Schnittmenge zwischen Leben und Musikstück lachend. Dabei meint sie ihr „schrecklich“ wirklich ernst. Wer je einen Text von ihr gelesen hat, weiß es. Und dann nimmt ein Abend seinen Lauf, von dem man wünscht, er möge nie enden! Doch natürlich waren Lesung und Gespräch der beiden auf zwei Stunden begrenzt. Der Titel ließ allerdings ahnen, dass die Zeit nicht reichen kann: „Ich hab so viele Fragen!“

Ein paar davon hat sie in ihren Büchern gestellt. Zum Beispiel jene, weshalb in Hamburg in den 1970er Jahren nur drei Nazi-Tätern der Prozess gemacht wurde – in insgesamt über 500 Gerichtsverfahren, die Peggy Parnass begleitete. Damals traf sie auch auf jenen Mann, der die Tötung ihrer Eltern zu verantworten hatte. Als kleines Mädchen kam sie 1939 zusammen mit ihrem jüngeren Bruder in einem Kindertransport nach Schweden – für jüdische Kinder das sichere Ausland. Vater und Mutter sah sie nie wieder, sie wurden im Vernichtungslager Treblinka ermordet. „Ich kann keine Züge sehen, ohne dass mir schlecht wird.“

Die Idee zu diesem Abend hatte Michael Weber; er war es auch, der die Auswahl der (teilweise gekürzten) Texte vornahm. Und die hätte besser kaum sein können: Aus den zahlreichen Publikationen aus über 30 Jahren wählte er solche aus, die einen ebenso differenzierten wie tiefen Eindruck von Peggy Parnass’ Persönlichkeit und ihrer Strahlkraft hinterlassen. Das abwechselnde Lesen und die dazwischen geschobenen Gespräche der beiden, aber auch das ungewöhnlich helle Licht im Malersaal, vermitteln eine Atmosphäre, die eher an ein geräumiges Wohnzimmer denn an eine Bühnensituation denken lassen. Um die Beleuchtung im Zuschauerraum hatte Peggy Parnass ausdrücklich gebeten: „Ich will euch doch sehen!“

Die in Hamburg Geborene blieb nach Stationen in Stockholm, Paris und London eher zufällig wieder in der Hansestadt hängen. Seit sie 14 ist, verdient sie ihren Lebensunterhalt, als Schauspielerin, Übersetzerin, Gerichtsreporterin, Filmkritikerin und Buchautorin. Sie entlarvt politische Skandale, unterstützt Minderheiten und schreibt gegen Unrecht an – in welcher Form auch immer es ihr begegnet. Mit rückhaltloser Ehrlichkeit schreibt sie über sogenannte Tabuthemen, aber eben auch über eigene Ängste und persönlichste Niederlagen.

Es beginnt mit berührenden Bekenntnissen. In „Grenzen akzeptier ich nicht“ (aus ihrem Buch „Süchtig nach Leben“) gesteht sie mit radikaler Offenheit, dass sie „Alter als Bedrohung“ empfinde: „sterben zu müssen, ist eine Frechheit“. Angesichts ihrer Wachheit, der Frische und Klarheit, mit der sie spricht und scherzt, glaubt man ihr aufs Wort, dass sie noch zahllose Pläne hat. Die gelesenen Passagen hallen noch lange nach; auch pointierte, spontane Statements zum eigenen Leben setzen sich in den Köpfen der Zuhörer fest: „Ich wollte schreiben, um deutlich zu sein“, kommentiert Peggy Parnass die Motivation, die sie seinerzeit eher zufällig zur Prozessberichterstatterin werden ließ.

Der Abend endet mit einem liebevollen Blick von außen: Michael Weber liest aus Yven Fritsches humorvoll dokumentiertem „Besuch bei Peggy Parnass“. Lachend wird das Publikum verabschiedet. Zum Abschluss tanzt Peggy Parnass zur Lieblingsmusik von Michael Weber, einer fröhlichen Banjo-Nummer, während die Zuschauer beide mit Standing Ovations feiern.

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