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Politisch bis Boulevard

Privattheatertage 2016
Privattheatertage 2016

Glanzlichter abseits der großen Bühnen: die drei Monica-Bleibtreu-Preisträger im Kreise der Juroren

Text: Birgit Schmalmack | Foto: Bo Lahola

Wer einen Überblick über das derzeitige Geschehen der deutsche Privattheaterszene bekommen möchte, hat es in Hamburg sehr bequem: Er braucht dafür höchstens auf die andere Seite der Elbe zu reisen. Statt seiner haben sich für die drei Sparten des Festivals jeweils drei Jurys auf die Reise gemacht und in ganz Deutschland nach herausragenden Produktionen gesucht und manches Sehenswerte gefunden.

Im „Zeitgenössischen Drama“ waren die spannendsten Inszenierungen zu sehen, hier wurden Themen von gesellschaftlichen Brisanz aufgegriffen. Die „Klassiker“ zeigten Altbewährtes mit leicht verändertem Zugriff. „Komödien“ sind ein schweres Geschäft, was die Auswahl in dieser Sparte bewies.

Wie Komödie geht, zeigte „Lieber schön“ unter Regie von Folke Braband von der Berliner Komödie am Kurfürstendamm. Hier waren Profis am Werk. Im Gegensatz zu „Trennung für Feiglinge“ war hier Tempo, präzises Spiel, gekonnte Personenregie und ein Stück mit einem gewitzten Text zu sehen.

Das Stück, das in dieser Kategorie den Monika-Bleibtreu-Preis verliehen bekam, kam vom Wolfgang Borchert Theater aus Münster. Regisseur Meinhard Zanger verhalf Shakespeares „Was ihr wollt“ zu einer vergnüglichen, spielfreudigen und eingängigen Fassung, die das Publikum im Winterhuder Fährhaus mit großer Erheiterung aufnahm. Bei ihm werden die Figuren erst vom Narren zum Leben erweckt. Er ist derjenige, der sie wie Aufziehpuppen in Bewegung setzt. Der Narr wird somit zum einzigen erklärt, der noch den Überblick unter all den Verrückten behält.

In den Klassikern befanden sich wenig gespielte Stücke wie „Hans im Glück“ von Bertholt Brecht aus dem Melchingener Theater Lindenhof, das zu einem modernen Märchen über Materialismus, Einfachheit, Menschlichkeit und den Glauben an das Gute wurde.

Die Beziehung zwischen Ferdinand und Luise wurde in „Kabale und Liebe“ vom Münster  Wolfgang Borchert Theater gleich auf der immer präsenten Webcam festgehalten, als wenn der Post auf Facebook oder YouTube gleich folgen würde. Eine schlichte zeitgemäße Inszenierung gelang damit Regisseurin Tanja Weidner, die in großen Teilen überzeugen konnte.

Das gelang auch dem „Wintermärchen“ vom Stuttgarter Forum Theater in der ersten Hälfte, in der sich Regisseur Dieter Nelle ganz auf stringente Personenzeichnung und kluge Textarbeit konzentrierte. Ganz geradlinig und schnörkellos postieren sich die Personen zwischen weißen Säulen und wehenden roten Stofffahnen am Hofe. In der zweiten Hälfte nutzt Nelle allerdings Shakespeares Wille zur Volksbelustigung eine Spur zu weidlich aus.

Das Siegerstück in der Sparte „Drama“ „Auch Deutsche unter den Opfern“ von Tuğsal Moğul am Zimmertheater Tübingen bezieht klare Position. Dieses Stück konfrontiert den Zuschauer mit klar formulierten Thesen ohne den Versuch einer Ausgewogenheit: Der Verfassungsschutz hat die Taten des NSU ermöglicht oder sogar unterstützt. Fragen bleiben am Ende viele: Warum sind Beweise vernichtet worden? Warum konnten V-Leute mit ihrem Gehalt Heimatschutzbünde aufbauen? Warum ist man den Aussagen, die in die Nazi-Szene wiesen, nicht nachgegangen? Warum wurde nur in Richtung Türken-Mafia ermittelt? Warum spricht man immer noch von Einzeltätern? Regisseurin Sapir Heller vom Zimmertheater Tübingen peppt die Doku-Form des Textes mit viel Erotik und Pop auf. Sie mischt Spielszenen mit Tanzeinlagen und Akrobatiknummern. Dieses Stück ist ein wütender Aufschrei, der in dieser Eindeutigkeit selten in der heutigen Theaterlandschaft zu sehen ist.
„Supergute Tage“ vom Jungen Theater Bonn stellt einen ungewöhnlichen Jungen in den Mittelpunkt. Umgeben von Overheadprojektionen wird der Zuschauer Zeuge der Entstehung seiner Bilder im Kopf. Denn dieser Junge ist ein Asperger-Autist, der eines Tages vor ungewöhnliche Herausforderungen gestellt wird, denen er sich unerschrocken stellt.

In der „Dunkelkammer“ vom Ballhaus Naunynstraße aus Berlin werden die Bilder nur im Kopf entwickelt. Auf der schwarzen Bühne stehen sich zwei Männer gegenüber: Soldaten, die auf verschiedenen Seiten der Westfront kämpften. Sie sprechen jeweils in ihrer Sprache: der eine griechisch, der andere deutsch. Dennoch verbindet sie viel. Kaum zwanzigjährig befinden sie sich nun in einem der Schützengräben und versuchen nur eines: mit dem Leben davon zu kommen. Regisseur Kostis Kallivretakis hat aus Texten von Erich Maria Remarque und Stratis Myrivilis ein Zwiegespräch zwischen den beiden Soldaten inszeniert. Es ist ein anrührender bewegender Abend gegen den Krieg geworden.

Die Schwierigkeiten, klare Trennungslinien zwischen den Sparten zu ziehen, wurden in diesem Jahr besonders deutlich. Ist ein Shakespearestück wie das „Wintermärchen“ nun ein Drama, ein Klassiker oder eine Komödie? Da blieb auch die gezeigte Inszenierung unentschieden. So kommt die Frage nach dem Mehrwert der Einsortierung der Stücke in die drei verschiedenen Kategorien auf. Gibt es nicht vielmehr nur gut oder weniger gut gemachtes, spannendes oder wenig anregendes Theater? Und gehört zu ersterem nicht gerade eine Vielfalt der Theaterformen, die einer klaren Zuteilung schwierig macht? Vielleicht würde eine Loslösung von den Sparten auch der reisenden Jury mehr Gestaltungsspielraum eröffnen und die Privattheatertage noch lohnenswerter, ertragreicher und anregender werden lassen als sie schon sind.

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