Highlight / Kritik

Reise durch Schlaraffien

Honigfabrik
Reise durch Schlaraffien

Vortrag mit Orange, Lauch und Joghurt: Angelika Baumgartner als Labor-Professor

Text: Angela Dietz / Foto: Theaterbox

Lauch Larry, Orange Clementine und Joghurt Natur Jogi sollen entsorgt werden. Doch die Drei wollen nicht auf dem Müllberg verrotten. Deshalb machen sie sich auf und davon nach Schlaraffien. Das ist die Grundgeschichte der „Reise durch Schlaraffien“, dem diesjährigen Wilhelmsburger Wintermärchen.

Schüler von gleich sechs Schulen auf der Elbinsel haben an der Entwicklung des Theaterstücks großen Anteil, sowohl an der Story über den Wahnsinn der Lebensmittelvergeudung und Ernährung als auch am Bühnengeschehen. Produziert wurde die Reise von Regisseur Julius Jensen und dem Team Theaterbox: Bühne Azizah Hocke, Dramaturgie Esther Kaufmann und Schauspielerin Angelika Baumgartner.

Mit sehr bescheidenem Bühnenbau, einer dafür umso liebevolleren und witzigen Ausstattung reisen Lauch, Orange und Joghurt vom Supermarkt zur Abfallhalde und schließlich nach Schlaraffien, aus dem die Drei am Ende auch entfliehen. Drei helle Stoffbanner bilden Gasse, Spielort und Schattentheater-Leinwand. Ein großer Sitzsack ist Versteck, Präsentierteller und Königsthron, farbige Glühbirnen und Früchte hängen im Raum – bereit, gepflückt und genutzt zu werden.

Schauspielerin Angelika Baumgartner vollzieht einen bewundernswerten, fast minütlichen Rollenwechsel: das Hauptfiguren-Trio, die höhnischen Bewohner Schlaraffiens, den König, den Labor-Professor und die Maschinen. Sie verkörpert nicht nur alle Figuren, sondern führt auch die Requisiten als Figuren und bedient sich der technischen Stimmverzerrungsmöglichkeiten am Mikrofon, um sie zu kennzeichnen. Die Tontechnik ist in diesem Wintermärchen mitunter das wichtigste Mittel, um Orte und Figuren unterscheiden zu können.

In Schlaraffien regnet es Ketchup und es wachsen Zuckerwatte-Büsche, so weit, so erwartbar, wenn Kinder über das Schlaraffenland fantasieren. Schimmelportale und Resorbator sind dagegen als Kindererfindungen echte Überraschungen und dienen dem Stück aufs Vortrefflichste. Dass der König alles durcheinander frisst, bis ihm schlecht wird, verwundert ebenfalls nicht. Am Ende platzt er, was sonst.

Larry, Clementine und Jogi sehnen sich nach nichts mehr als gegessen zu werden, am besten als Hauptgericht. Das ist zuweilen sehr lustig, etwa wenn der Lauch davon träumt, geröstet zu werden oder alle drei enttäuscht sind, weil die alte Raupe sie doch nicht verspeist hat.

Am Ende der dramaturgisch etwas wilden Geschichte überlebt Larry das gar nicht paradiesische Schlaraffenland mit seinen arroganten Bewohnern, die alle nicht Dazugehörenden ausgrenzen. Wer sich nicht von moderner Technik im Labor pimpen lassen will, ist inakzeptabel. Und Clementine und Jogi, ebenfalls entkommen, denken über eine sanfte Transformation zum Orangen-Joghurt nach.

„Reise durch Schlaraffien“ ist eine Mischung aus Schatten- und Kasperletheater, Performance und Erzähltheater auf offener Bühne, die den Lebensmittelüberfluss und das Wegwerfen thematisieren. Nebenbei werden Fragen nach Zugehörigkeit, Identität und Ausgrenzung mitverhandelt, wenn beispielsweise übers Radio nach Illegalen gesucht wird.

Regisseur Julius Jensen ist es gelungen, die vielen Requisiten und technischen Mittel so einzusetzen, dass ein Schlaraffenland sichtbar wird, ohne dass die Zuschauer davon erschlagen werden. Nicht immer ist der Fortgang der Handlung leicht nachzuvollziehen. Aber vielleicht spielt das im überquellenden „Schlaraffien“ eine untergeordnete Rolle.

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