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Ronja + Julian – Die Reise ins Übermorgenland

Theaterproduktion der GWA St. Pauli
Ronja + Julian

Kämpferin mit Herz: Ronja im Totenkopfdorf auf dem Baui Hexenberg

Text: Stephanie Schiller / Foto: Jann Wilken

Sie sind legendär – die Theaterrundgänge der GWA St. Pauli. Theater, das sich bewegt – und das bewegt. Am 1. Juli ist es wieder soweit. Diesmal geht es um Ronja und Julian. Die beiden sind auf der Flucht vor dem Totenkopf-Volk. Ihr Ziel: Das Übermorgenland. Ob diese Geschichte von flüchtenden Jugendlichen gut ausgeht? Das wissen auch die Macher des Stücks und selbst Autor und Regisseur Kai Fischer (Die AZUBIS) erst ganz zum Schluss. Denn das Publikum bestimmt in der letzten Szene im Marktbüro, wohin es geht … Richtung Happy End oder in ein tragisches Finale.

Ohne aktuelle Bezüge – ob zur derzeitigen Flüchtlingssituation oder zum eigenen, von Gentrifizierung bedrängten Stadtteil – geht es auch in diesem Theaterrundgang über sechs Stationen nicht. Zwei Stunden durchs Viertel, ausreichend Zeit für Metaphern, die den Blick öffnen für das, was wirklich wichtig sein könnte im Leben. Beim Probenbesuch wird schnell klar: Hier wird ein modernes Märchen par excellence erzählt, mit all den Zutaten, die Märchen wie Leben ausmachen: Mut, Liebe, Ehrlichkeit und Humor. Ronja (in Anlehnung an ein berühmtes Kinderbuch) und Julian (frei nach William Shakespeares „Romeo und Julia“) sorgen im Totenkopf-Volk für Aufregung. Ausgerechnet in die Vorbereitungen für die Hochzeit der Prinzessin Pepper auf dem Bauspielpatz Hexenberg an der Königstraße platzt Julian. Nicht, dass der Junge ein Problem darstellt – nein, er ist das Problem. Ein Fremder. Einer, der nicht dazu gehört. Also sperrt man ihn ein. Ronja, die Schwester der Braut, sieht das nicht ein. Sie befreit ihn. Und los geht die gemeinsame Flucht.

Auf dem Fischmarkt bleiben an diesem frühen Abend immer wieder Passanten stehen und schauen sich fragend um. Jugendliche und Erwachsene mit großen Hüten und überdimensionalen Stempeln versuchen, sich akustisch gegen den Verkehrslärm von der etwas oberhalb liegenden Breiten Straße durchzusetzen, und schreien den Menschen auf dem Platz die heiligen drei Gesetze des Totenkopf-Volks vor: 1. „Du sollst die Stammbäume ehren.“ 2. „Du sollst kein Kaninchen essen.“ 3. „Man sieht nur mit dem Herzen gut; alles Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Oder doch: „Töte nie – nach Sonnenuntergang“? Die skurrile Stempel-Stelle oberhalb des Minerva-Brunnens müssen auch Ronja und Julian passieren. Gar kein leichtes Unterfangen, wenn die einzigen beiden Posten, die sie nach dem richtigen Weg fragen können, gleich klarstellen: „Einer von uns lügt immer.“ Mit dem eigenen Leben auf der Flucht – ein Dilemma.

Zwischen 11 und 74 sind die Akteure von „Ronja und Julian“, seit März wird geprobt. Mit dabei auch Jugendliche, die auf ihrer Flucht in Hamburg gelandet sind. Ein nicht immer einfaches Unterfangen: Diszipliniert an Theaterproben teilzunehmen hat für Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus verständlicherweise nicht oberste Priorität. Von zehn Geflüchteten sind noch zwei dabei. Sie bringen ihre eigene Sprache ein. Und dort, wo die Sprache nicht reicht, kann auch getanzt werden.

Unterstützt wird das Theaterprojekt, das in ähnlicher Form alle zwei Jahre stattfindet, von „FREIRÄUME! – Fonds für kulturelle Projekte mit Geflüchteten“, der „SAGA/GWG Stiftung Nachbarschaft“ und der „Paul- und Helmi-Nitsch-Stiftung“. Trotz dieses wertvollen Engagements müssen die Theatermacher auf dem Kiez diesmal mit weniger Budget auskommen als in den vergangenen Jahren. „Man muss flexibel bleiben“, sagt Produktionsleiterin Rike Salow. Eine Antwort, die irgendwie auf fast jede Frage in der freien Kulturarbeit passt.

Wer Ronja und Julian auf ihrem Weg vom Bauspielplatz über die Kneipe der gefallenen Helden, vorbei an den Schlepperwichteln, Arschmännchen für Deutschland und Stempel-Druden bis ins Marktbüro begleiten möchte, wer Lust auf eine Mischung aus Trash, Poesie und Doku hat, und wer bereit ist, seinen Heimatbegriff mal wieder auf den Kopf stellen zu lassen, der ist an diesen Terminen in St. Pauli genau richtig.

Premiere: 1. Juli. Weitere Vorstellungen: 3., 8., 9., 15., 17. Juli, jeweils ab 19 Uhr (los geht’s am BAUI Hexenberg, Königstraße 11b). Die Teilnehmerzahl ist pro Vorstellung begrenzt. Karten gibt’s vorab
unter 040 / 410 988 737 oder unter www.gwa-stpauli.de (12 € / ermäßigt 6 €).

„Ronja + Julian – Die Reise ins Übermorgenland“ – eine Theaterproduktion der GWA St. Pauli e.V. mit: Kai Fischer (Regie, Text), Sonja Möcklinghoff (Theaterpädagogik), Tina Erösová (Requisite), Heike Hallenga (Kostüme), Sonja Engelhardt (Musik), Rike Salow (Produktionsleitung) sowie Bewohnern von St. Pauli.

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