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Spiel Zigeunistan

Theater am Strom im Fundus Theater
Spiel Zigeunistan

Von Heimat, Fremde, Sesshaftigkeit und Drang nach Veränderung: Christiane Richers und Kako Weiss

Text: Dagmar Ellen Fischer / Foto: Andreas Schwarz

Von Roma und Sinti, den politisch korrekten Namen, hält er nichts. Der junge Mann will „ein krasser Zigeuner sein“ und wehrt sich gegen die Abschaffung des von den meisten als diskriminierend empfundenen Begriffs. Dazu passt der Titel des Stücks, das aus seinem Leben erzählt: „Spiel Zigeunistan“. Christiane Richers, Initiatorin vom „Theater am Strom“, schrieb den Text aufgrund von Gesprächen mit den beiden in Hamburg lebenden Sinti Kako Weiss und dessen Onkel Heinz Weiss. Im Fundus Theater liest die Autorin selbst und gibt den beiden Männern aus unterschiedlichen Generationen eine Stimme.

In Richers Geschichte heißen sie Wolkly und Letscho, leben seit ihrer Geburt in Georgswerder und fühlen sich als Hamburger. Deutsche hingegen sind sie nicht, denn die deutsche Mentalität ist ihnen fremd. „Wir ticken ja immer noch anders; wir klauen, und wir sind Musiker oder Schrotthändler.“ Seit 600 Jahren leben Sinti und Roma in der Hansestadt, das mit dem angeblichen Wandertrieb ist eine glatte Lüge: „Wir sind sowas von sesshaft!“ Ihre Vorfahren kamen vor Jahrhunderten aus Indien über Ungarn nach Hamburg. Und Wolkly hofft, dass er von hier aus irgendwann auch einmal wieder in die Welt hinaus ziehen wird – er möchte Veränderung. Und es nervt ihn, dass bestimmte Dinge nur auf eine Weise gemacht werden dürfen, weil sie so schon immer so gemacht wurden. Die Wurst an beiden Enden abzuschneiden, zum Beispiel, weil es früher nur kleine Töpfe gab und es seither traditionell beibehalten wurde. Wolklys Familie lässt jedoch weder die Enden an der Wurst noch eine Reise nach New York zu, von der er träumt. Als Musiker würde er gern in den USA auf den Spuren großer Jazz-Vorbilder wandern, doch wenn er davon spricht, hört er Zuhause immer nur: „Was willst du dort? Bleib’ doch hier …“

Die gelesenen Passagen werden unregelmäßig vom Saxofon-Spiel eben jenes Wolkly alias Kako Weiss unterbrochen. Davor und danach sind auch seine Gedanken zur Musik zu hören: „Ich übe nie. Ich spiele.“ Er lebt für die Musik, hört sich mitunter 50 Mal den selben Song an, um ihn dann nachzuspielen. Denn Noten kann er weder lesen noch schreiben. Das war ein Problem im Musikunterricht der Schule: Improvisieren war falsch, weil es nicht an der Tafel stand. Familie ist Heimat, Schule ist Ausland. Und so wird auch Wolkly die Tradition der Schul-Abbrecher fortsetzen, wie so viele Sinti und Roma vor ihm.

Wenn im zweiten Teil dann Wolklys Onkel erzählt, geht es um genau dieses Abbrechen: Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, gefährdeten Jugendlichen im Stadtteil dabei zu helfen, in der Schule länger durchzuhalten. Falls das nicht klappt, könnten sie alternativ eine Karriere als Boxer starten, denn Onkel Letscho betreibt im Süden Hamburgs einen Box-Club. Er weiß wovon er redet: Er selbst hat die Schule in der siebten Klasse geschmissen. Und übrigens mag er es gar nicht, wenn sein Neffe das Wort Zigeuner benutzt! In einem Punkt sind sich die beiden jedoch einig: Ein Zigeunerschnitzel ist entbehrlich – Negerküsse wurden schließlich auch abgeschafft.

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