Highlight / Kritik / Schauspiel

Wir sind keine Barbaren

Theater Kontraste, Komödie Winterhuder Fährhaus
Wir sind keine Barbaren

Zwei Paare versuchen, die Balance wieder herzustellen

Text: Christian Hanke / Foto: Oliver Fantitsch

Die Deutschen und die Flüchtlinge — das Thema des Landes hat Philipp Löhle (Jahrgang 1978) in seinem Stück „Wir sind keine Barbaren“ auf beklemmende Weise mit komisch-piontierten Dialogen und in einer eindrucksvollen Form bearbeitet. Murat Yeginer hat daraus mit vier ausgezeichneten Darstellern und einem Chor eine spannende, oft unterhaltsame Inszenierung entwickelt, die im Theater Kontraste Premiere hatte. Im Mittelpunkt stehen die Deutschen, die sich so toll finden, und plötzlich mit einem Problem konfrontiert werden, das ihre heile Gutmenschen-Welt arg strapaziert. Der Heimatchor, eine höchst reizvolle Komponente dieses Stückes, beschreibt das deutsche Selbstverständnis anno 2015 in „Wir“-Form und kommentiert das Geschehen immer wieder wie ein Chor im antiken Drama, beginnend mit der deutschen Nationalhymne. „Wir sind zuverlässig, bescheiden, pünktlich, sparsam, fleißig“, sprechen die acht Mitglieder, die im Laufe des Stückes die löblichen Vorsätze der Deutschen — „Wir machen Bio“ — und die Abgrenzung gegen Fremde deutlich formulieren: „Da sind wir, und da sind die anderen, wir passen nicht zusammen.“

Vier Personen treten zu Beginn aus dem Chor heraus und spielen eine Geschichte von vier Deutschen, zwei benachbarten Paaren. Das ältere empfängt das jüngere Paar, das neu eingezogen ist und durch lautes Sex-Gestöhne hörbar auffällt. Man plaudert über dies und das und kommt sich langsam näher. Doch als Barbara, die ältere, einen Flüchtling aufnimmt, der nachts an die Tür klopft, brechen erste Abgründe auf. Die jüngere Linda kann es nicht verstehen, outet sich als das deutsche Wohlleben liebende Egozentrikerin, was die von Mitmenschlichkeit beseelte Barbara scharf verurteilt. Die Männer versuchen vergeblich zu vermitteln. Doch dann verschwinden Barbara und der Flüchtling, und es passiert Schreckliches. Barbara liegt tot unter dem Flachbildschirm, den Gatte Mario ihr zum Geburtstag schenkte, eigentlich ein Geschenk für ihn selbst. Nun brechen insbesondere bei Linda und Mario tief sitzende Ängste und Vorurteile auf. Und der Flüchtling erscheint als Inkarnation des Bösen, der alles durcheinander gebracht hat. Hier wird Löhles Stück, das im ersten Teil Gutmenschentum und Spießigkeit mit viel Komik, aber etwas plakativ zeigt, ganz stark, weil es Wurzeln der Fremdenfeindlichkeit beschreibt.

Yeginers Inszenierung lebt von den vier ausgezeichneten Schauspielern Meike Anna Stock, Rabea Lübbe, Konstantin Graudus und Tino Führer, dem Chor und einer umwerfenden Bühnenidee. Fünf Chormitglieder sind in Mülltonnen versteckt, aus denen sie für ihre Auftritte auftauchen und mitunter als Inspizienten helfend eingreifen. Am Ende wird sogar eine störende Person, Barbaras Schwester Anna, in die Mülltonne gestopft. Der deutsche Müll ist hier allgegenwärtig.

Aufführungen bis 25.10. Theater Konstraste, in der Komödie Winterhuder Fährhaus, Hudtwalckerstr. 13

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*