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Alle eine – alle anders

„[M]imosa“ auf dem Live Art Festival, Kampnagel

[M]imosa

Wer ist Mimosa?

Zwei Stunden lang bewegen sich die vier Tänzer und Tänzerinnen durch Bühnen- und Zuschauerraum der Halle K1 beim Live Art Festival auf Kampnagel. Selten sind Cecilia Bengolea, Francois Chaignaud, Trajall Harrell und Marlene Monteiro Freitas gleichzeitig frontal zur Publikumstribühne in Aktion. Die Wege der Performer aus New York kreuzen sich nur manchmal. Während sie mit (Geschlechts)identitäten, mit Pop(song)zitaten und mit Erwartungen spielen, behaupten alle vier, „[M]imosa“ zu sein, eine Figur, die nicht zu fassen ist. Das ist oft amüsant, zuweilen lustig, manchmal erschreckend, es ist erotisch, melancholisch, andeutungsweise pornografisch, meist jedoch ein verwirrend ernstes Spiel.

Choreograf Harrells Ausgangsfrage für seine Reihe „Twenty Looks or Paris is burning at the Judson Church“ ist: Was wäre passiert, wenn 1963 ein Tänzer aus der New Yorker Voguing-Ballroom-Szene zum elitären Kreis der postmodernen Judson Church in New York gestoßen wäre? Einzelne umrunden gehend den Raum, zu zweit flüstern sie in der ersten Reihe oder ganz entspannt an der Seite. Eine/r zieht sich auf einem Publikumsplatz um. Aber vor allem tanzen sie mit großer Energie im Bühnenraum, horizontal, vertikal. Sie gleiten, robben, tanzen, springen und gehen durch Raum und Zeit, von den 60ern in die 90er, von zu Hause in den Ballroom, von der „Umkleidekabine“ auf die Tribüne. So verwischen sie die Grenzen nicht nur von Raum und Zeit, sondern auch ihrer Identitäten: Mann, Frau, Performer, Tänzer, Collegestudent, Ballroom-Voguer, Darkroom-Besucher, Popstar, Chanteuse. Das alles läuft während der zwei Stunden in einer Art Midtempo ab, auch wenn es heftige, schnelle Tanzeinlagen gibt.

Die Kostümierungen, passend zum unterschiedlichen Duktus, variieren. Pop-schräg-schrill und „pornografisch“ changiert Bengolea – die 80er des 20. Jahrhunderts lassen grüßen. Bunt verballhornt klassisch tanzt und singt Chaignaud fast wie eine Operndiva. Düster, aggressiv und geil an SM-Spiele, später an (the Popstar formerly known as) Prince erinnernd, barbusig wütet und tanzt Freitas. In alltäglichem Outfit, beiger Jeans, blauem Vollpulli erscheint Harrell, der mit leiser, lässiger Stimme spricht und mit so zurückhaltend melancholischem Timbre singt, dass es auch den distanziertesten Zuschauer erweichen muss. Sein Popverweis könnte unter anderen Stevie Wonder sein, wenn er mit dicker Sonnenbrille auf dem Barhocker sitzt und singt.

Chaignauds „[M]imosa“ ist zart und weich. Er/sie erzählt die Coming-of-Age-Story eines schwulen Jungen oder auch Transvestiten. Bengoleas „[M]imosa“ weist die stärksten Brüche auf. Am Ende bittet sie um Verständnis, dass sie nicht gelächelt habe, aber sie sei in einer Art depressiven Stimmung. Und das gehöre nun mal auch zum Leben. Als sie „Wuthering Heights“ von Kate Bush intoniert, ist das Publikum begeistert, lacht wissend und bleibt doch verhalten. Es wirkt, als ob die Popsongs ein wenig Orientierung bieten auf dieser so scheinbar entspannten Irrfahrt.

Harrells „[M]imosa“ spricht mit lässigem Ernst fast beiläufig von seinen/ihren Erlebnissen, tanzt dann wieder, mal sanft mit kleinen Bewegungen, mal eckig und zuckend wie in der 80er Disco. Er/sie sitzt irgendwann auf dem Barhocker und erzählt dann, im Tuntenhabitus und -gestus, vom Gucci-Shopping – um später dem Publikum zu sagen: „Well, I know, you thought, I`m gay, but I`m straight.“ Jede Geschichte ist anders.

Freitas „[M]imosa“ ist die am offensten aggressive. Sie ist auch die einzige, die das Publikum körperlich angeht, ein einziges Mal. Es erwischt eine junge Frau in der ersten Reihe. Und sie gibt, sehr überzeugend Prince. Der Popstar passt hervorragend in die Performance. Denn er war es, der schon in den 80ern mit den Geschlechterrollen spielte wie kein anderer – in seiner Bühnenperformance und in seinen Song-Texten, so direkt wie poetisch. Auch da wirkt das Publikum kurz, als sei es nicht nur amüsiert, sondern auch orientiert. Freitas „Zugabe“ seiner Musikerinnen und Komponistinnen aus den 80ern, Wendy Melvoin & Lisa Coleman entgeht ihnen.

Die 80er liegen irgendwo zwischen der New Yorker Voguing Ballroom-Szene von 1963 und dem semidokumentarischen Film „[M]imosa“ von 1990, der die Voguer in die New Yorker Nachtclubszene begleitet und hinter die Masken und Kostüme der Selbstdarsteller und Nachtgestalten blickt. Voguing ist ein Tanzstil, der vor allem von afro- und lateinamerikanischen Homosexuellen, Transvestiten und Transidenten praktiziert wurde.

„[M]imosa“ ist in Zeiten von Uni-Ringvorlesungen zu Queer-Themen und Forderungen, Homosexuelle wie Transidente im Grundgesetz explizit vor Diskriminierung zu schützen – oder im Ausland sogar vor Todesstrafen und -drohungen zu bewahren –, nicht nur künstlerisch hochaktuell.

Text: Angela Dietz
Foto: Paula Court

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