Kritik / Musiktheater

Intrigen, Inzest, Illusionen

„Les Enfants Terribles“, Hochschule für Musik und Theater
Les Enfants Terribles

Paul (Andreas Heinemeyer) und Elisabeth (Luise Hansen) genießen den gemeinsamen Badetag.

Eine Ansammlung von Baugerüsten, eine Badewanne und drei Klaviere bilden die Kulisse zu einer obsessiven Geschwisterliebe. Der US-amerikanische Komponist Philip Glass nahm sich 1996 für seine Tanzoper „Les Enfants Terribles“ den gleichnamigen Roman von Jean Cocteau zur Vorlage. In der Hochschule für Musik und Theater inszeniert Regisseurin Kerstin Steeb die selbstzerstörerische Symbiose zwischen Elisabeth (Luise Hansen) und Paul (Andreas Heinemeyer) als eindringliches Kräftespiel zweier Menschen, die sich dem Erwachsenwerden widersetzen.

Ein Schneeball ist es, der Paul am Kopf trifft und das fragile Gleichgewicht zwischen den Geschwistern ins Wanken bringt. Im Kern des Schneeballs befindet sich ein Stein, so wie im Kern von Elisabeths und Pauls inzestuöser Beziehung verletzende Eifersucht und intrigante Bosheit nisten. Schulfreund Gérard (Masanori Hatsuse) bringt den Verletzten nach Hause und dringt so in das heimische, mit kindlichen Illusionen angereicherte Refugium von Bruder und Schwester ein. Als mit Agathe (Johanna Krödel) ein weiterer Fremdkörper die infantile Zweisamkeit durchbricht, setzt sich das Geschwisterpaar wie ein bedrohter Organismus zur Wehr.

Beklemmend spiegelt sich die Enge und Begrenztheit von Elisabeths und Pauls Lebenskosmos in der minimalistischen Akkord-Architektur der drei begleitenden Klaviere (Daria Iossifova, Aleksandra Laptas, Hanne Franzen) wieder. Die vier Sänger finden sich wunderbar in den nicht ganz einfachen Gesangsparts zurecht und sorgen in einer wenig gefühlsbetonen Partitur dennoch für ergreifende Momente – etwa, wenn Elisabeth den Tod ihres frisch angetrauten Ehemanns besingt.

Das seelische Gerangel zwischen den Geschwistern wird zudem auf der Ebene des Tanzes gespiegelt. Nur leider verbannt die Choreografie die Tänzer Signe Koefoed und Jascha Viehstädt allzu sehr in den Bühnenhintergrund, wo sie hinter den Gerüstelementen schwer sichtbar sind und sich zum Teil in sehr freien Bewegungsabläufen verlieren. Die beiden Tänzer sind es auch, die die Gerüste nach und nach in wüste Skulpturen aus Plastikplanen, Leinentüchern und Kartonpappe verwandeln. Als Elisabeth und Paul gemeinsam in der Badewanne Sex haben, ist ihr Domizil längst zu einer Mischung aus Baustelle und Müllhalde geworden, aus der es keinen glücklichen Ausweg mehr zu geben scheint.

Glücklich hingegen haben Regisseurin und Choreografin Kerstin Streeb sowie Leon Gurvitch als musikalischer Leiter dieses Stück über den Verlust kindlicher Unschuld und ein sehr französisches Intrigantenpärchen auf die Bühne gebracht. Ein wenig Geduld auf Seiten der Besucher ist bei diesem 100-minütigen Einakter der Einsatz, der sich am Ende auszahlt.

Text: Sören Ingwersen
Foto: Torsten Kollmer

 

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