Highlight / Kritik / Schauspiel

Kurzfristige Befreiungslacher

„Der Firmenhymnenhandel“, Kampnagel
Der Firmenhymnenhandel

Chef-Tochter (Pheline Roggan), Chef (Rainer Schmitt), Hymnenhändler (Robert Stadlober) und Hymnenkomponist (Tillbert Strahl-Schäfer)

Doch, so was gibt es: Firmenhymnen. Nicht diese unerträglichen Schrummelmelodien, mit denen Baumarkt & Co ihre Waren anpreisen à la: „Wer, wo, was – weiß Obi!“ Sondern – nicht minder unerträglich – Liedgut zum internen Gebrauch: zur Mitarbeitermotivation, zur Beförderung des Zusammenhalts im Betrieb, fürs Gemeinschaftsgefühl im Unternehmen. Es ist zweifellos ein besonderes Verdienst von Thomas Ebermann, diese im Verborgenen blühende Sumpfpflanze kultureller Spezialspezies ins Rampenlicht gezogen zu haben. „Wir bei VW sind echt ok, ein echtes Superteam, das fest zusammensteht … wir geben Gas.“ Oder für Postler: „Zum Glück gibt’s die Packstation – ich liebe sie … es geht ganz einfach!“ Oder: „Flugzeuge im Bauch, im Blut Kerosin … Air Berlin.“

Nach ähnlichem Muster soll auch bei Glas-Schmitt eine Hymne Einzug halten. „Lass ich mir schenken: von den leitenden Angestellten oder vom Betriebsrat“, verkündet der patriarchalische Chef und Alleinherrscher übers Unternehmen, Glasproduzent Schmidt (Rainer Schmitt). Eigentlich steckt sein Tochter (Pheline Roggan) hinter dem Projekt. Sie hat sich durchgesetzt mit ihrem Wunsch, den altbackenen Betrieb mit neuen Managementmaximen aufzufrischen. Dazu gehört auch eine Hymne. Und für die soll ein ehemaliger Kommilitone (Robert Stadlober) sorgen. Denn der handelt mit derlei Hymnen. An seiner Seite ein Komponist (Tillbert Strahl-Schäfer) fürs Zweckwerk, der aber lieber purer Künstler wäre: „Die geringe Resonanz auf mein Werk zeigt mir, dass es gut ist!“ Für ihre Überzeugungsarbeit präsentieren die Jungunternehmer auf überdimensionaler Leinwand jede Menge Musiker: Gilla Cremer, Bernadette La Hengst, Schorsch Kamerun, Nina Petri, Gustav Peter Wöhler und viele, viele andere singen mehr oder weniger ernsthaft deutsche Firmenhymnen nach.

Vor diesem Hintergrund entzündet sich ein intellektuelles Feuerwerk, für das Ebermann eine explosive Mischung angelegt hat: ein bisschen Adorno und Marcuse hier, eine Prise Managementlehre dort, ein bisschen Wirtschaftslehre nach Adam Smith u. a., eine paar Portionen Ratgeberliteratur kräftig aufgerührt mit eben jenen Hymnentexten – und vielen verbalen Abziehbildern aus Kreativ- und Produktionswirtschaft. Bald weiß man nicht mehr, wo einem der Kopf steht zwischen dem antithetischen Zitatengewitter, blitzartigen Erkenntnissen und kurzfristigen Befreiungslachern.

Die Beteiligten schenken sich nichts im Kampf um geistigen Vorrang gegenüber ihren Gesprächspartnern, alle auf Glatteis gegenüber Finten und Thesen des Gegenübers. Jeder verteidigt seine Haltung im Kampf ums Sonnenplätzchen im Kapitalismus. Keiner bleibt – zumindest zeitweise – unbeeindruckt von Positionen der anderen. Am wenigsten bewegt sich erwartungsgemäß der Platzhirsch, der Seniorchef, der sich freut, dass seine Tochter endlich in den Betrieb eingestiegen ist.

Ein bisschen ist Ebermanns Parforcegroteske wie eine Bestätigung des zur Spruchweisheit geronnenen Adorno-Zitats: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Wir lauschen mit andauernd bestürzter Begeisterung diesem Kleister, der uns im profitorientierten Leben am Platz halten soll. Nur schade, dass unter dem ganzen überbordenden intellektuellen Überbau der theatrale Unterbau leidet. Der Regisseur Ebermann kommt aus seinem eigenen Schatten als Autor nicht hinaus. So verharren seine an und für sich guten Schauspieler zu oft etwas ratlos im Stellungskampf miteinander, ab und an zur Ansprache direkt ins Publikum verdonnert. Schade. Ein mehr an Inszenierung und es hätte nicht nur der Text geglüht, sondern das ganze Stück auch geleuchtet.

Text: Oliver Törner
Foto: Sven Heine

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