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Theater nervt

Die Produktion „Stör ich?“ kommt aus Köln nach Altona ins Monsun Theater
Stör ich?

Alles andere als statisch geht’s zu bei "Stör ich?".

Am 30. und 31. Mai sowie am 1. und 2. Juni geht es im Monsun Theater um nichts Geringeres als um etwas „Sinnvolles zur Rettung des Theaters“. Regisseurin Iris Matzen zeigte auf dieser Bühne vor zwei Jahren erfolgreich ihre Produktion „Two for the Show“. Es war der Abschluss ihres Regie-Studiums an der Hamburger Theaterakademie. Nun kehrt sie mit einigen Schauspielern und ihrer Produktion „Stör ich?“ auf die Bühne in Ottensen zurück. Was sie dabei bewegt, beschreibt sie mit eigenen Worten wie folgt:

Hamburg Altona, Friedensallee Fußgängerzone, Ottensen. Ein Nachmittag. „Hallo!“, rufe ich dem Mann mit dunkelroter Schürze in einer Bar zu, der gerade einige Stühle von Tischen herunterhebt, „darf ich bei Euch ein paar Flyer auslegen?“ – „Na klar“, antwortet er freundlich und deutet auf eine Anrichte, die in diesem Laden zum Auslegen von Infomaterial eingerichtet wurde. Als ich an einer möglichst auffälligen Drapierung meiner Flyer arbeite, kommt er hinzu. Ich sage immer Flyer, meine aber eigentlich Postkarten: Meine Dramaturgin und ich haben bei einer günstigen Online-Druckerei 500 besonders coole Postkarten drucken lassen.

Dass meine Postkarten cool sind, findet offenbar auch der Kellner. Er nimmt sich eine von meinem gerade angerichteten Stapel und lacht. Er sieht ein Test- bzw. Störbild, das wir alle von früher aus dem Fernsehen kennen. Lauter bunte Rechtecke, schwarz-weiße Striche, Farbverläufe. In einem weißen Feld in der Mitte steht die einfache und knackige Frage: „Stör ich?“ Er lacht und lacht und fragt mich, worum es denn bei dieser Postkarte ginge. Ich drehe sie ihm in der Hand um und deute auf Titel und Termine auf der Rückseite. „Es geht um ein Theaterstück“, sage ich. Und dann sagt der Mann traurig „ach so“ und legt die Postkarte wieder zurück auf den Stapel. Ganz so, als hätte ich gerade gesagt: „Sorry, kein Zutritt für Kellner!“

Sind wir mal ehrlich: Den meisten Menschen geht Theater auf die Nerven. Meine Freunde sind Schauspieler, Regisseure, Theatermusiker und Dramaturgen. Und wenn ich Postkarten für mein Stück verteile, dann verteile ich sie erst einmal in Foyers und Kantinen von Theatern, richte mich bei meinen Einladungen an Dramaturgen und Intendanten und tackere noch meine Vita mit dran. Pervers daran: Die Leute, an die sich mein Stück richtet, die Leute, die ich mit dem Stück frage „stör ich?“, die wissen vielleicht gar nicht, was ein Dramaturg, was ein Intendant und was eine Vita ist.

Bei Harry Potter wissen ja auch die Muggel nicht, wer Dumbledore ist und offenbar haben die Zauberer der magischen Theaterwelt überhaupt kein Interesse daran, es ihnen zu erklären. „Stör ich? Was Sinnvolles zur Rettung des Theaters (mit Musik!!!)“ lautet der ganze Titel des Stückes, für das ich mit den coolen Postkarten werbe. Das Theater der Keller in Köln stand vor gut einem Jahr kurz vor seiner Schließung. Mal wieder, wie man leider hinzufügen muss. Als mich die Intendantin Pia Maria Gehle anrief und bat, ein aufsehenerregendes Spielzeitfinale für ihr Theater zu entwickeln, wusste sie nicht, ob diese Premiere vielleicht ihre letzte sein würde. Pervers daran: Es war nicht die letzte Premiere dort, aber das lag nicht an meinem Stück. Das Theater der Keller hat sich irgendwie selbst gerettet – vorerst –, so, wie sich Theater nun mal um sich selbst dreht. Es lebt durch sich selbst, es stirbt durch sich selbst.

Und die Muggel? Der Kellner? Die hätten eigentlich einen Riesenspaß an diesem Theaterabend. Das haben unsere Mütter in Köln geprüft. Der einzige Zugang, den wir isolierten, einsamen Theaterleute zur anderen Welt haben, sind nämlich unsere Mütter. Und manchmal alte Klassenkameraden. Machen Sie doch einmal dieses Experiment: Fragen Sie einen Schauspieler, wer sein Publikum ist. Fragen Sie ihn: „Wer guckt sich deine Stücke eigentlich an? Wer geht ins Theater, der nicht selbst im Theater arbeitet?“. Der Schauspieler wird antworten: „Meine Mutter, zum Beispiel.“ Und nein, unsere Mütter lieben nicht alles, was wir tun. Dazu haben wir ihnen mit unserem ewigen Studium und Künstlerdasein viel zu lange auf der Tasche gelegen. Unsere Mütter sind unsere stärksten Kritiker und wenn unsere Mütter unsere Stücke mögen, dann heißt das, dass wir etwas geschaffen haben, was außerhalb unseres sterilen Theaterlabors funktioniert.

Meine Mutter liebt „Stör ich?“. Sie war acht Mal drin. Der Oma der Dramaturgin hat es auch gefallen. Und der Hauptdarsteller (Frank Maier) hatte einen Cousin drin, der soll sich beinahe in die Hosen gemacht haben vor Lachen. Die Schwiegereltern der Hauptdarstellerin (Cornelia Schönwald) waren begeistert. Und vom Musiker (Sebastian Kemper) waren in der Kölner Premiere mindestens 15 oder 17 alte Freunde – alle fanden es super. Vom Fach waren neun Kritiker in der Vorstellung und alle schrieben ihr Loblied auf diese Inszenierung. – Viel mehr Zuschauer hatte das Stück allerdings leider nicht.

Der Regisseur Kai-Erik Cartier wird von einem Theater engagiert, das kurz vor seiner Schließung steht. Er soll ein Stück zur Rettung des Theaters entwickeln. Dabei muss er sich strikt an gewisse Förderrichtlinien halten, damit sich dieses Stück finanzieren lässt. Es gibt nämlich Menschen, die stellen klar, was förderwürdig ist und was auf die Bühne gehört und was nicht: Wer einen Beitrag

zur Integration von Menschen mit Migrationshintergrund leistet, ist klar im Vorteil. Wer möglichst intermedial, interkulturell, interaktiv, international und dabei intellektuell und irre innovativ bleibt, bekommt den Zuschlag. Wer mit Laien arbeitet, kann ganz sicher mit Zuschüssen rechnen. Inszenieren oder integrieren? Der Regisseur stellt sich also mit seiner Schauspielerin und seinem

Pianisten dieser schwierigen Frage und bemüht sich, den Zuschauern genau das zu zeigen, was sie nach Angabe der Förderrichtlinien auch sehen wollen. Der Unterschied zwischen Kai-Erik Cartier und mir ist, dass wir ihm in „Stör ich?“ beim Proben dieses Himmelfahrtskommandos zuschauen und dass er eine fiktive Figur in einem fiktiven Ensemble ist. Ein Theaterstück über ganz traurige und verarmte Theaterleute – wen interessiert denn das?

Meine Mutter, zum Beispiel. Und deswegen wird es auch dem Kellner auf der Friedensallee gefallen. Und der Grundschullehrerin in Farmsen. Und dem Tierarzt und der Busfahrerin. Euch allen wird es gefallen, garantiert. Es hat Euch nur sehr lange niemand mehr herzlich eingeladen.

Durch den Störfaktor „finanzielle Not“ haben wir begonnen, uns ungeliebt und überflüssig zu fühlen. Wir nehmen das empfindlich persönlich, dass uns keiner mehr Geld für unsere Arbeit geben will. Aber daran seid Ihr ja nicht schuld. Trotzdem haben wir aufgehört, für Euch zu arbeiten, Theater für Euch zu machen, Euch einzubeziehen. Wir haben Euch lange genug ausgeschlossen. Mir tut das Leid. Ich brauche Euch. Rettet das Theater!

Der Weg zur Rettungsaktion findet sich unter monsuntheater.de

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