Kritik / Schauspiel

Warten auf den Wahnsinn

„Der nackte Wahnsinn“, Ernst Deutsch Theater
Der nackte Wahnsinn

Der Albtraum eines jeden Regisseurs: Provinzschauspieler in Pose.

Was Sie schon immer über Theater wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten … erklärt (nicht Woody Allen, sondern) Michael Frayn: Der britische Autor erlaubt dem neugierigen Publikum in seinem bekanntesten Stück einen entlarvenden Blick hinter die Kulissen und zeigt, was Bühnenalltag wirklich ist, „Der nackte Wahnsinn“ nämlich! Die dritte Premiere der Jubiläums-Spielzeit am Ernst Deutsch Theater sorgte für sämtliche Lacher-Sorten, vom unkontrollierten Brüller bis zum Permanent-Kichern – allerdings erst NACH der Pause.

1982 wurde Frayns Farce über Schauspieler am Rande des Nervenzusammenbruchs in London uraufgeführt, seither ist sie in 40 Sprachen übersetzt worden, allein in Deutschland erlebte sie über neunzig Neuinszenierungen. Kein Wunder: Der Text ist eine wortwitzige Steilvorlage, die indes perfektes Timing erfordert. Das gelingt Regisseur Fred Berndt und dem Team aus neun Schauspielern im zweiten Teil des Abends. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch schon einige Zuschauer gegangen … Dabei ist „Der nackte Wahnsinn“ eines der komischsten Bühnenstücke überhaupt: Eine mittelmäßige Tournee-Theater-Truppe probt unter der Regie eines selbstverliebten Regisseurs (der bekannte Moderator und Sänger Michael Schanze übernimmt die Rolle am EDT) die Komödie „Nackte Tatsachen“, doch nur wenige Stunden vor der Premiere verhindern Eitelkeiten und Unfähigkeit der Darsteller einen reibungslosen Ablauf. In diesem ersten Akt wird die von Autor Frayn angelegte  Situationskomik verschenkt, die durch das unprofessionelle Vermischen von zu spielender Figur und privaten Macken unsouveräner Provinzschauspieler eigentlich entstehen sollte, stattdessen ergibt sich zunächst eine wirre Mischung wenig profilierter Typen. Einzige Ausnahme: Mirco Reseg in der Rolle des Garry Lejeune, der mit seinem pointierten Spiel für Momente der Klarheit und Klärung sorgt.

Was auch immer in der Pause passiert sein mag –  im zweiten Teil wird „Der nackte Wahnsinn“ zu dem, was ihn berühmt machte: Großartiges, leichteres Theater mit gezielt gesetzten Pointen und rasantem Slapstick. Das Publikum darf im zweiten Akt aus der Perspektive der Hinterbühne miterleben, was backstage schief geht. Sieht intrigante Kollegen, ungeplante Gefühlsausbrüche und dem Alkohol geschuldete Pannen – und wie die jeweiligen Patzer im Augenblick des Auftritts mehr und weniger gelungen vor dem Publikum vertuscht werden. Requisiten kommen abhanden, und so hält eine misstrauische Gattin plötzlich eine lockere Türklinke anstelle des Geschenks ihres Ehemannes in der Hand, der Text indes bleibt pure Freude über die hübsche Aufmerksamkeit …

Der dritte Akt zeigt die allerletzte Vorstellung am Ende der Tournee und eine Truppe, die wenige Wochen und einige Affären später kurz vor dem kollektiven Kollaps spielt.  Das Publikum erlebt das geballte Elend erneut aus der üblichen Zuschauerperspektive von vorn: Was vom Stück noch übrig blieb, nachdem unter den Spielern Liebeswirren, Eifersucht und Rache ihren ungehemmten Lauf nehmen konnten. Das furiose Finale hat mit der Generalprobe zu Beginn des Stücks wenig gemein – und ist deshalb beim (Nicht)Wiedererkennen zum Brüllen komisch. Nur wer Theater und Schauspieler liebt, kann sich derart gekonnt lustig machen, wie es Michael Frayn mit diesen wahnsinnigen Stück schafft.

Text: Dagmar Ellen Fischer
Foto: Oliver Fantitsch

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