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Wüste Story, schnörkellose Musik

„Die unglückselige Cleopatra oder Die betrogene Staats-Liebe", Opera stabile
Cleopatra

Cleopatra (Mélissa Petit) spielt ein falsches Spiel mit ihrem Geliebten Antonius (Paulo Paolillo).

Im Herbst 1966 wurde die Metropolitan Opera in New York mit Samuel Barbers „Anthony and Cleopatra“ eröffnet. Was viele nicht wissen: Auch in Hamburg wurde eine Oper auf die ägyptische Königin komponiert. 1704 fand die Uraufführung von „Die unglückselige Cleopatra oder Die betrogene Staats-Liebe“ an der Gänsemarkt-Oper statt. Das Internationale Opernstudio der Hamburgischen Staatsoper hat nun die wohl erste Neuinszenierung dieses Barockjuwels des Hamburger Komponisten Johann Mattheson gewagt – und eine Aufführung auf die Bühne der Opera stabile gebracht, die nicht nur Liebhaber alter Musik begeistern dürfte. Auf die im Libretto etwas holzschnittartig angelegten Konflikte antwortet Regisseur Holger Liebig mit einer unaufdringlich-klaren Figurenführung auf einer planen Sandfläche (Bühne: Nikolaus Webern).

Der Sopran der 22 Jahre jungen Mélissa Petit lässt Cleopatra als entschlossene, zugleich auch leidensfähige Herrscherin glaubhaft erscheinen, wenngleich man sich noch mehr Abschattungen in der Dynamik gewünscht hätte. In jeder Hinsicht hinreißend: Katharina Bergrath in der Rolle von Cleopatras Tochter Candace, die ihren Sopran so mühelos zum Leuchten bringt wie Archibius (Thomas Florio) den Spiegel, mit dem er Cleopatras Geliebten, den Marcus Antonius (Paulo Paolillo), blendet. Als Herrscher schlägt sich Antonius denn auch weit weniger gut, denn als Sänger – dank Paolillos gut sitzendem Tenor. Levente Páll schleudert dabei als skrupelloser Augustus seine Basssalven so ausgelassen ins Publikum, dass es eine wahre Freude ist.

In einer Hosenrolle leiht die Koreanerin Juhee Min Candaces Bruder Ptolemaeus ihren wohlgeerdeten Mezzo. Ptolemaeus sieht sich das ganze Stück über den Hasstiraden und Drohungen seiner Verlobten Mandane (Nerita Pokvytyte) ausgesetzt, die nicht begreifen will, dass Candace seine Schwester und nicht seine heimliche Geliebte ist. Ein Kuriosum, dass nur noch dadurch übertroffen wird, dass die Tragödienhandlung mehrmals von dem lustigen Gesellen Dercetaeus (herrlich komisch: Daniel Philipp Witte) unterbrochen wird, um etwa ein „schmutziges Lied über das Reinigen von Schornsteinen“ zum Besten zu geben oder der sterbenden Cleopatra als Quacksalber „warmes Bier und ein Klistier“ anzuempfehlen, um die Wirkung des Schlangengifts zu lindern. Mit derart profanen Einschüben versuchten Hamburger Barockkomponisten, auch das bildungsunkundige Publikum in der Oper bei der Stange zu halten.

Viel Durchhaltevermögen braucht man bei dieser auf rund drei Stunden zusammengestrichenen Fassung der Oper allerdings nicht. Der Komponist entpuppt sich auch hier als Meister ebenso kurzer wie kurzweiliger Arien, Lieder und Tanzsätze (drei Tänzer sind ebenfalls mit von der Partie). Das Kammerorchester in der Bühnenmitte – vom Spielgeschehen durch einen Fadenvorhang abgetrennt – mit den an der großen Form geschulten Philharmonikern verwandelt sich unter der Leitung von Nicholas Carter in ein sauber intonierendes Barockensemble, von dem man sich allerdings noch etwas mehr Esprit erhofft hätte. Das Happy End mit Doppelhochzeit – auch Candace darf ihren Juba (Chris Lysack) ehelichen – bekommt in Liebigs Inszenierung allerdings eine zynische Wendung: Die Geliebten werden gebunden und von Augustus auf die Knie gezwungen, bevor dieser zum Irrenanstaltsinsassen mutiert, der sich in Anwesenheit seines Wärters im Fernsehen eine Cleopatra-Verfilmung anschaut. Größenwahn ganz wörtlich genommen.

Text: Sören Ingwersen
Foto: © Rosa-Frank.com

Weitere Aufführungen: 26., 27., 29. u. 30.6., jeweils 20 Uhr, Opera stabile, Karten 12 bis 18 Euro unter Tel. 356868.

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