Text: Hans-Peter Kurr
Was jetzt als zweite Premiere in der Eröffnungswoche der neuen Ära Beier auf der großen Bühne des Deutschen Schauspielhauses zu sehen war, hieß zwar „Der Sturm“, doch handelte es sich nicht um eine Inszenierung von Shakespeares genialem Alterswerk „The Tempest“.
Vielleicht eine kurzfristige Spielplanänderung? Zumal die Intendantin selber wegen einer krankheitsbedingten Umbesetzung an die Rampe trat, jene anzukündigen … Weit gefehlt! Also ersatzweise die optisch-akustische Realisierung der Albträume und horriblen Nachtvisionen einer Regisseurin (Maja Kleczewska), der ein gut subventioniertes Sprechtheater gestattete, diese ohne Rücksicht auf Kosten und Personalverschleiß auf die Bühne zu projizieren, zum Zwecke der Selbstheilung?
Wir, die wir uns ein Leben lang mit der Entwicklung und Geschichte des europäischen Theaters beschäftigen, haben gelernt, analytische Methoden auszubilden, solche, die den Stoff auflösen und seine Strukturen sichtbar machen. Die Gesichtspunkte dafür können nur aus vergleichender Durchmusterung der vorliegenden Literaturteile, also empirisch, gewonnen werden. Konsequenterweise so auch bei Shakespeare, dessen bis heute wirkende Schöpferkraft in der Fülle und Lebendigkeit seiner dichterischen Welt gefeiert wird. Zu Recht!
Aber wie weit dürfen dabei Grenzen gesprengt werden, nur weil die geniale Vorlage selbst das aushält? Wie weit darf einem Individuum, das Regie führt, gestattet werden, auszunutzen, dass – wie es bei der Shakespeare-Forscherin Ina Schabert heißt – im „Sturm“ Themen nicht kausal oder personell, sondern nur thematisch zueinander in Beziehung gesetzt werden. Sie stehen durch Ariel unter der Kontrolle Prosperos und werden dadurch dem Zuschauer zum Bewusstsein gebracht! Was aber, wenn jemand diesen an sich schon schwierigen Vorgang als Freibrief nutzt und – wie in dieser Inszenierung – nur noch die Namen übrig bleiben, und niemand mehr weiß, was abgehandelt wird?
Die einzige Freude dieses Abends besteht darin, einer Crew von fantastischen Schauspielern gegenüberzusitzen, denen das Ganze einen unglaublichen Spaß zu bereiten scheint, weil sie sich (auch wenn nicht jeder von ihnen, so steht zu vermuten, trotz Regie-Erklärungen während der Probenzeit die sogenannte Konzeption begriffen haben mag) ordentlich austoben können. Und diese hochqualifizierte Schauspielhaus-Crew kann das hochprofessionell, allen voran Josef Ostendorf als schwergewichtiger Prospero, der offenbar gern tut, was er am besten kann, nämlich in seiner unverwechselbaren Art zwei Songs beisteuern, die es – formal und inhaltlich – in sich haben.
Ernstes zum Abschluss, um nicht wirklich zornig zu werden: Stattgefunden hat kein Shakespeare-, aber ein C.-G.-Jung-Abend: „Ich habe oft gesehen, daß Menschen neurotisch werden, wenn sie sich mit ungenügenden oder falschen Antworten auf das Leben begnügen. Solche Menschen stecken oft in einer zu großen geistigen Enge. Es handelt sich deshalb um ein synchronistisches Phänomen, weil das kollektive Unbewusste allen Menschen gemeinsam ist.“