Kritik / Schauspiel

Kipplige Balance

„Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“, Hamburger Kammerspiele

Das Publikum ist mit dem festen Willen gekommen, sich zu amüsieren. Offensichtlich. Der Theaterabend hat noch gar nicht richtig angefangen, da geht’s schon los – mit dem Lachen. Zum Beispiel, wenn einer der drei Herren auf der Bühne, die da am Tisch vor sich hin warten, den Pullover ein wenig lupft und sich die bloßgelegte Bauchwelle kratzt. Ja, das ist lustig. So geht es fort. Huch, der Tisch fällt fast um, weil ein Bein zu kurz geraten ist. Was haben wir gelacht. Dabei hätte es diesem spitzfindigen, sehr treffsicheren Text von Theresia Walser schlicht gut getan, wäre er so behandelt worden, wie sie selber es vorschlägt. Nachzulesen im Programmheft: „Es tut meinen Texten nicht gut, wenn man jede Pointe breit walzt und sich in heillose Überzeichnungen flüchtet. Der Witz zündet vor allem in seiner Beiläufigkeit, dazu braucht man Gespür für Subtilität. Es bedarf eines gewissen Mutes, etwas in der Schwebe zu lassen.“ So gesehen ist diese Regiearbeit von Michael Bogdanov etwas mutlos – subtil geht es hier nämlich nicht zu.

Doch um was geht’s in „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“? Drei Gecken geraten im Vorzimmer zur nahenden Talkshow aneinander. Sie sind eingeladen, dort über Grenzen und Möglichkeiten von Schauspielerei zu diskutieren. Zwei von ihnen haben schon Hitler verkörpert, der dritte Goebbels. In dem Nirwana zwischen täglicher Unrast („gestern saß ich noch in Tunesien unter einer Dattelpalme“) und dem Moment ihres Auftritts vor Fernsehpublikum („wenn’s losgeht – sitzen wir dann schon, oder kommen wir erst rein?“) entlädt sich eine Grundsatzdebatte über Berufsethos und Vorbilder, Theaterschranzen und Regietheater, Rezitationskunst und Kunstklamauk. Peter Bause gibt den nicht mehr ganz frischen, egomanischen, erfolgsverwöhnten Großschauspieler Franz Prächtel, der sich als jemand sieht, dem keiner das Wasser reichen kann (folglich reicht ihm auch über die 70 Minuten, die das Stück währt, niemand das gewünschte Leitungswasser…): unnahbar, harsch und ins Groteske übersteigert. Nicki von Tempelhoff, als zweiter Hitlerdarsteller Peter Söst, katzbuckelt gegenüber dem alten Kollegen und belehrt arrogant den dritten in der Runde. Dabei besetzt er kaum einen eigenen Standpunkt und entledigt sich sogar einer Diskussion über seine Hitlerdarstellung unter dem Hinweis: „Ich habe ihn doch nie als Mensch gespielt!“ Kristian Bader schließlich, als ehemaliger Goebbels-Darsteller Ulli Lerch, das hohe Lied auf darstellerische Ambitionen in der Provinz singend („Wir mussten mit den Zähnen die Seiten aus dem Koran reißen“), ist für die kipplige Balance des Gesprächs zuständig – auf dass man überhaupt miteinander weiter redet. Und für die Balance des Tisches. Sozusagen in der Spur des Goebbels’schen Klumpfußes, muss er hier das Tischbein durch den eigenen Fuß verlängern und kommt somit nicht vom Fleck.

Das alles ist, wie schon gesagt, höchst kurzweilig inszeniert. Mag auch sein, dass mit den drei Schauspielern im Laufe der Aufführungen fern der Premiere die komödiantischen Gäule immer mehr durchgehen. Doch die Debatte, die es nach Filmen wie z.B. dem „Untergang“ von Oliver Hirschbiegel nach wie vor zu führen gilt, kommt fast unter die Räder. Hitlers letzte Tage im Bunker. Kann man so etwas darstellen? Soll man das darstellen? Ja, darf man das? Bause als Prächtel weiß es: „Ich konnte ihn spielen. Ich habe einen Schweizer Pass.“ Bruno Ganz lässt grüßen.

Dem Stück wird im Grunde der Garaus gemacht, und zwar genau durch die Unterhaltungssucht von Inszenierung, wie sie das Stück im Kern angreift: eine breitenwirksame, gut vermarktbare, massenkompatible Belustigung oder wahlweise vermeintlich emphatisches Nachempfinden. So kommt es, dass viele lachende Zustimmungsbekundungen über Texte auf der Bühne das Gemeinte verkennen und die Persiflage als das Applauswürdige beklatschen. Wenn man einen Witz erzählt, sollte man nicht selber wahnsinnig witzig daherkommen. Oder: Weniger wäre mehr gewesen.

Text: Oliver Törner

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*