Kritik / Schauspiel

Vergiftete Köder

„Wie geht’s uns denn?“, Lisa Politt solo im Polittbüro
Lisa Politt

Sonst meist mit Perücke: Lisa Politt in ihrem neuen Solo „Wie geht’s uns denn?“

Arriviert und frisch frisiert – alles glatt, nicht eine widerspenstige Locke stiehlt sich hervor. Die Dame da vorne auf der Bühne wahrt Contenance in allen Lebenslagen, will heißen: in allen Positionen auf ihrem Deckchair. Eifert sie, wenn auch mit schwarzer Mireille-Mathieu-Perücke statt mit blondem Beton, ihrem Vorbild Hannelore Kohl nach? Ja, die hatte zu leiden. Und was hat die nicht alles ausgehalten. Sogar ‘ne gebrochene Hand beim Shaking Hands mit Staatsoberhäuptern. Na, und ihr Sohn Walter. Wie der erst unter dem aussitzenden Vater zu leiden hatte. Schreibt er ja selber. Als Rache konnte er von Sicherheitsleuten unbemerkt – quasi unter deren Augen – ein „Heckler & Koch“-Maschinengewehr auseinander nehmen und wieder zusammensetzen. „Da hätt‘ aber auch was schief gehen können.“

Lisa Politt in Gewand und Diktion einer Society-Lady hat alle Sprüche drauf, die einer Wenn-mein-Mann-kein-Geld-hinlegt-erpress-ich-ihn-Gattin ganz natürlich über die Lippen kommen. Bewunderung für Tigermütter etwa, Sottisen über die Griechen und ihre Finanzen, Gemüsehändler mit Migrationshintergrund, erfolgreiche Ex-Kommunisten etc. Manches lässt sie visuell für sich stehen: Im Hintergrund laufen immer mal wieder unkommentiert Diaprojektionen oder – teilweise groteske – Filmschnipsel.

Mit weit ausholendem Schwung mäht sie quer durch Politik und Gesellschaft. Und landet eben immer wieder bei Familie Kohl – und den Büchern zum Thema. „Irgendjemand muss die doch gelesen haben, schließlich stehen sie auf der Bestsellerliste ständig ganz oben.“ Gern zitiert sie daraus und verführt niemanden zu voreiligen Lachern. Lisa Politt legt vergiftete Köder aus: Indem sie sich über weite Strecken jeden Kommentar verkneift, nicht mal eine Augenbraue hochzieht, lässt sie die Zuschauer mit ihrem Urteilsvermögen allein. Nichts vorrubriziert. Kein: Hier bitte lachen! Die Zitate aus den Büchern, die Verquickung der Assoziationen sollen für sich wirken. Und jeder kann sich nebenbei überprüfen, ob der den Vorurteilen und haltlosen Beschuldigen über Depravierte und Prekäre auf den Leim gekrochen ist.

Lisa Politt, die sonst gern mal mit oralem Maschinengewehr Zuschauer niedermäht, die ohnehin ihrer Meinung sind, setzt in ihrem neuen Solo „Wie geht’s uns denn?“ auf ruhigere Töne. Denen man aber sehr genau nachspüren muss, um alles mitzubekommen. Auch von ihrem Masseur, der sich wortlos ihrer Füße annimmt, lässt sie sich nicht unterbrechen in ihrer Demaskierung eines breiten gesellschaftlichen Konsenses durch bloßes Zitat. Nur gelegentlich gehen die Pferde mit ihr durch. Dann tritt sie gleichsam neben sich, zum Beispiel, wenn sie einen boshaften Sprechgesang über die Boygroup der Männerführungsriege der SPD anstimmt. Doch, wie gesagt, Walter und Hannelore stehen im Brennpunkt ihres Interesses. Hier seziert sie nach Herzenslust. Und schließlich streift sie sich Hannelores Wunderperücke über, um ihr noch näher zu kommen. Um schließlich barhäutig mit ein paar Hieben die Mär von der gebrochenen, lichtallergischen, professionellen Kanzlergattin zu zerschlagen. Nicht zuletzt mit Blick auf die Geschichte ihrer Familie, die aus arisiertem Vermögen Profit geschlagen habe. „Lichtscheu wäre wohl die bessere Bezeichnung gewesen.“ – Ein großer Abend mit Lisa Politt.

Text: Oliver Törner
Foto: Gundi Hauptmüller

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*