Das Junge Schauspielhaus stellt sich mit Klaus Schumachers Inszenierung von „Wut“ ein weiteres Mal einem brisanten Thema: Migrantensohn zieht Bürgersohn ab. Obwohl – oder gerade weil? – zunächst niemand einfach zurückschlagen will, entwickelt sich eine Spirale der Gewalt, an deren Ende es einen Toten gibt.
Felix (Florens Schmidt) wird von Can (Jonathan Müller) und Freund Hakan (Johannes Nehlsen) wieder und wieder bedroht, erpresst und verprügelt. Der Junge ohne Freunde zahlt: mit seinen Turnschuhen, mit Geld und mit Dope. Doch seine Qualen bleiben trotz des Versteckspiels zu Hause nicht unentdeckt, zu offensichtlich sind die Wunden.
Vater Simon Laub (Hermann Book), kurz vor der Ernennung zum Professor für Literatur, will mit dem Übeltäter reden und scheitert kläglich; Can steckt voller Wut und verhöhnt ihn – „du hast ein scheißgeiles Haus, Geld und eine scheißgeile Frau“ – und setzt sein gewalttätiges Spiel mit einiger Raffinesse fort. Dabei deckt er treffsicher die Schwachstellen der Laubs auf und bringt die Familienmitglieder gegeneinander auf. Wie die Kehrseite der sexuellen Freiheit von Mutter Christa (Christine Ochsenhofer), der erfolgreichen Immobilienmaklerin, und Simons Gefühlskälte und Ekel. Und die Kehrseite der Erziehung zu Freiheit und Gewaltlosigkeit: Gleichgültigkeit gegenüber Sohn Felix und dessen Wehrlosigkeit.
Und Cans Familie? Vater Ahmed (Johannes Nehlsen), der einst als Gastarbeiter nach Deutschland kam, fühlt sich von seinem Sohn durch dessen Taten entehrt. Zuerst schlägt er Can, zuletzt verstößt er ihn, obwohl der Sohn verzweifelt vor dem Vater auf die Knie fällt. Ist die Hilflosigkeit bei Laubs beredt, diese Familie macht sie stumm.
„Wut“ zeigt die Brüchigkeit bürgerlichen Daseins wie das Scheitern des Sohns einer Gastarbeiterfamilie. Was nach Klischee klingt, kommt dennoch ohne aus. Dabei besticht das Junge Schauspielhaus durch eine kluge Regie und nuanciertes Spiel. Die Facetten aller Figuren werden sichtbar. Ahmed ist vornehm gekleidet, spricht Hochdeutsch und trägt Goldrandbrille. Christa Laub ist emanzipiert, aber wenn es brenzlig wird, will sie einen wehrhaften Ehemann. Und dieser Schwächling wiederum ist triebhaft und hinterhältig, während Cans Schläue so niederträchtig wie atemberaubend ist.
Auf der kargen, farblosen Bühne verlieren und treffen sich die Protagonisten. Durch große fensterartige Aussparungen sehen sie zuweilen einander zu, ein Mittel der Distanzierung, wie auch die erzählerischen Momente. Gleich eingangs – und nach der Schluss-Szene, mit der das Stück auch beginnt – stehen die Erzähler (Johannes Nehlsen und Angelina Häntsch) an der Rampe und sagen: „Wir wissen nicht, ob sich alles genau so zugetragen hat. Manches wissen wir nur vom Hörensagen.“ Das Publikum soll sich nicht hineinziehen lassen, in die hochkochenden Emotionen. Dazu wird in der Bühnen-Adaption des vielbeachteten und prämierten Films von Max Eipp außerdem eine Art Kohlhaas`sche Ebene eingezogen. Ein Gedemütigter wehrt sich, verliert sich in rasender Wut und anschließendem Blutrausch. Simon, der Literaturprofessor ist Kleist-Kenner und zitiert den Dichter. Auch das Ende verweist auf die Novelle.
In dieser Inszenierung von „Wut“ geht es fast mehr um die Eltern als um die Jugendlichen. Doch ist das nicht ohnehin die richtige Adresse, wenn es um Gewalt unter Jugendlichen geht? Auf jeden Fall, sobald es um eine Auseinandersetzung mit den Ursachen geht.
Die Fragen nach den Ursachen von Gewalt und hier besonders nach den angemessenen Reaktionen auf sie, bleiben offen. Das macht die Inszenierung umso glaubwürdiger, denn sie verweist die Auseinandersetzung damit an das Publikum, die Gesellschaft.
Text: Angela Dietz
Foto: Sinje Hasheider