1. Tag
Das Stück „Portia Coughlan“ spielt zwischen Himmel und Erde. Der Frauenname, der dem Drama der Autorin Marina Carr (Deutsche Übersetzung durch Christ Ohnemus) den Titel verleiht, gehört der Zwillingsschwester eines vor 15 Jahren durch Selbstmord „hinübergegangenen“ Bruders, dessen Suizid sie nicht verhindern konnte. Mit dieser tiefenpsychologisch ebenso hinreißenden wie schwierigen Bühnengeschichte wurde das Programm der zum zweiten Mal durch Axel Schneider und sein Team initiierten hamburgischen Privattheatertage in den Hamburger Kammerspielen hochqualifiziert eröffnet: Das Münchener Metropoltheater brachte es mit einem unglaublich differenziert arbeitenden Ensemble mit der zutiefst beeindruckenden Elisabeth Wasserscheidt in der Titelrolle und in der Inszenierung von Jochen Schölch an die Elbe.
Der Regisseur, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, hat in einer wirklich kongenialen Weise durch eine himmelragende Schräge, über die mehrfach am Abend der Schicksalsfluss Lethe rauscht, Diesseits und Jenseits verbunden und lässt seine durchweg hochrangigen Darsteller vor diesem Hintergrund die zunächst verwirrende, dann – in Albee-Manier – immer deutlicher werdende Gesamtbiographie einer Familie fast zwei Stunden lang durchspielen, deren Mitglieder sich gegenseitig auf nahezu antik-tragische Weise seelisch zerfleischen, weil sie noch nicht (oder nicht mehr?) wissen, dass Schicksal, wörtlich übersetzt, „geschicktes Heil“ bedeutet. Chapeau, chapeau für diese Eröffnung!
2. Tag
Victor Hugos „Der Glöckner von Notre Dame“ stand für dieses beeindruckende Traumspiel Pate, für das Karl Huck, der auch inszeniert hat, die Idee gebar und sie für das „Theater con cuore“ in Schlitz bei Fulda umsetzte (und der Chronist, der diesen wunderschönen deutschen Landstrich zwischen Bad Hersfeld und Fulda sehr genau kennt, ist sicher, dass dies bei einem guten Essen im berühmten „Schlitzer Hof“ geschah, dessen Küche und Keller die jeweiligen Ensembles der Hersfelder Festpiele seit Jahrzehnten inspirieren…). Genug der Koketterie. Im Rahmen der hamburgischen Privattheatertage war an diesem zweiten Abend im Lichthof Theater Bemerkenswertes zu sehen:
Ein abwechslungsreiches Spiel zwischen Menschen und Puppen, nicht wie bei Puppenbühnen die Norm, Puppe im Focus, vom unsichtbaren Spieler geführt, sondern zeitgleich beide ihre Mittel nutzend. Das ist ein Faszinosum:
Eine Zigeunerin und ein Priester träumen sich während einer Sonnenfinsternis um fünfhundert Jahre zurück und begegnen am selben Schauplatz dem Glöckner Quasimodo, der schönen Esmeralda, einem eitlen Hauptmann und einem Abt. Die souveräne und doch so leicht wirkende Spielart, in der das Darstellerpaar Virginia und Stefan P. Maatz die wundervoll ausdrucksstarken Puppen (gearbeitet von Barbara und Günter Weinhold) in modulationsstarker „Voice over“-Technik durch das Spiel führt, ist überraschend und hat Seltenheitswert, so gebührt dem Team des gastierenden Theaters „con cuore“ aus dem schönen hessischen Schlitz ebenso ungeteilte Hochachtung wie Axel Schneiders Juroren, denen wir dieses Kleinod zu verdanken haben.
3. Tag
Diesen dritten Schauspielabend der diesjährigen Privattheater-Gastspiel-Serie wird man nicht zwingend zu den Höhepunkten der Reihe zählen müssen. Schillers „Kabale und Liebe“, eine Adaption einer Komödie seines Zeitgenossen, des französischen Theaterschreibers Picard, die er, soweit wir wissen ,verfasste, um seinem höfischen Weimarer Dienstherren zu willfahren, ist heute so unbedeutend geworden, dass sie noch nicht einmal Eingang gefunden hat in unseren wichtigsten Schauspielführer, Georg Hensels „Spielplan“.
Unbedeutend deshalb, weil sie sehr im Zeitgeist des 18. Jahrhunderts verwachsen ist. Bei der Weimarer Uraufführung soll das Publikum sich kringelig gelacht haben, was auch der große Kollege und Schillerfreund Goethe bestätigt. Heutzutage, in der Zeit also der ständig und immer mehr pervertierten Pseudo-Demokratien, amüsieren Intrigen dieser simplen und sofort durchschaubaren Art niemanden mehr. Auch dem Publikum in den Kammerspielen waren beim Gastspiel des Theaters „Die Färber“ aus Singen am Bodensee, abgesehen vom Schlussapplaus, nur spärliche Reaktionen zu entlocken. Nun bildet die Einheitsdekoration eines armen Privattheaters, das sich nicht mehr leisten kann, sui generis keinen besonderen Anreiz. Umso mehr müssen Schauspieler her, die fest in ihr Bühnenfach gestellte Charaktere verkörpern können, wie die klassische Regel es befiehlt, selbst in einer „modernisierten“ Fassung, wie sie Regisseur und Bearbeiter Peter Simon hier geschaffen hat.
Das allerdings kann man leider von keinem der fünf vom Bodensee angereisten Menschendarstellern, deren Namen wir an dieser Stelle nicht nennen mögen, berichten. Der politische Streber und Intrigant Selincour, der bei einer Ministerin Karriere auf Kosten anderer machen möchte, hat einen in der Bühnenliteratur weitaus interessanteren Bruder. Das ist Molières Tartuffe, der Verstellung, Entlarvung, Kabale und schließlich Sieg der Gerechtigkeit verkörpert wie niemand sonst.
Wer wie der Chronist das Alter erreicht hat, in seiner Erinnerung noch Aribert Wäscher in der Berliner Schillertheater-Produktion des Jahres 1953 vor sich zu sehen, der den Selicour in ölig-tückischen Tonarten unter seiner brandroten Perücke hervorstieß, dem wird schnell klar, dass dieser Singener Abend bei aller Achtung, wie immer, vor der künstlerischen Bemühung der Beteiligten, bestenfalls ein Windhauch ist.
4. Tag
Erstmalig in diesem Jahr hat auch Christian Seeler seine Ohnsorg-Bühne als Gastspielort für die Privattheatertage des Intendantenkollegen Axel Schneider zur Verfügung gestellt und die Produktion, die dortselbst am vierten Tag der Reihe stattfand, hat ihm mehr als Recht gegeben:
Die „Komödie Berlin“, wie bei so vielen Produktionen in enger Kooperation mit dem hamburgischen Winterhuder Fährhaus, zeigte eine wohlerprobte Boulevard-Komödie britischer Herkunft mit dem deutschen Titel „Eine Sommernacht“ (Autoren: David Greig und Gordon McIntyre, adäquate deutsche Übersetzung von Barbara Christ) in einem so rasanten Ablauf, dass es einem dem Atem verschlagen konnte, dargeboten von zwei absolut souveränen und glänzend aufeinander abgestimmten, einem breiten TV- und Theaterpublikum nicht unbekannten Darstellern: Tanja Wedhorn und Oliver Mommsen, denen man sekündlich den Spaß an der Freud’ ebenso anmerkte wie ihr sprühendes und trainiertes Miteinander. Kein Wunder: Sie standen nicht zum ersten Mal in einer Inszenierung Folke Brabands auf der Bühne und erzählten die Geschichte von Helena und Bob, die einander in einer Bar begegnen, eine wilde Nacht miteinander verbringen und fortan von einer schwierigen Situation in die andere taumeln, weil der Kleingangster Bob eine Riesensumme unterschlagenen Geldes noch in derselben titelgebenden Sommernacht und dem folgenden Weekend mit ihr verjubeln will. Verwicklung folgt auf Verwicklung, das Tempo sowohl der Handlung als auch der Dialoge steigerte sich von Szene zu Szene und wurde schließlich zu einem darstellerischen Feuerwerk, das die Zuschauer zu Jubelstürmen und Standing Ovations führte.
Der dritte im Bunde dieses virtuosen Teams ist der Musiker Lars Precht, der nicht nur feinsinnig Szenen illustrierte, sondern auch die eingestreuten poetischen Songs des Paars als Gitarrist begleitete.
5. Tag
Eine Komödie mit heftigem gesellschaftspolitischem Hintergrund, dennoch unterhaltsam für alle Generationen, mit dem Titel „Kebab Connection“ – dem Film des türkisch-deutschen Regisseurs Fatih Akin nachgeschrieben – steuerte das Berliner Grips Theater am fünften Tag der Privattheatertage in der nachgerade überfüllten K 2 auf dem Kampnagelgelände offenkundig zur Wonne des gemischten Publikums bei.
Deutsche Braut wird schwanger von einem türkischen Liebhaber. Mehr muss über die Handlung nicht verlauten, wenn man seriös bedenkt, welche Verwicklungen und Probleme daraus noch heute in beiden Ländern entstehen. Der Vorteil dieser Produktion in der Inszenierung von Anno Saul über das aktuelle Thema liegt darin, die Problematik für die Bühne – nach bewährter Gripsmethode – in eine Handlung eingebettet zu haben, die genügend Spielraum für Komödianterie lässt. Beispiel: Der Liebhaber Ibo, ein junger Filmregisseur wie Akin, aber noch Anfänger, dreht einen Werbespot über die Dönerbude seines Onkels, die zwar jenen in Wut versetzt, sich aber als so erfolgreich erweist – sehr zum Leidwesen des benachbarten griechischen Konkurrenten –, dass der junge Kreative seinen Plänen näher ist, einen „ deutschen Kung-Fu-Film“ zu drehen. Diese Idee allein ist so publikumswirksam, dass es geradezu Zustimmungsorgien aus dem Auditorium gab, zumal auch mit Musikeinlagen nicht gespart wurde. Eine glücklicherweise für das Grips Theater, das noch vor Jahresfrist vom Pleitegeier und der Schließung bedroht war, erfolgreiche Produktion, die – zumindest vorläufig – das Sterben dieses renommierten Berliner Instituts verhindern half.
6. Tag
Das Münsteraner Wolfgang Borchert Theater, vor einem viertel Jahrhundert noch im Bahnhofsgebäude jener westfälischen Metropole untergebracht, nun seit vielen Jahren in eigenen Räumen, hatte immer schon in Studentenkreisen mindestens denselben Stellenwert wie die berühmte Kneipe „Pinkus Müller“ und erfüllte dortselbst, den rührigen Off-Theatern Hamburgs ähnlich, die Aufgabe, sich um die Pflege aktueller, also zeitgenössischer dramatischer Literatur verdient zu machen.
Eine dieser interessanten Produktionen hat das Auswahlgremium der hamburgischen Privattheatertage entdeckt, an die Elbe eingeladen und es als sechste Produktion auf der Bühne der Kammerspiele gezeigt: „Oleanna – ein Machtspiel“ von David Mamet in der deutschen Übersetzung von Bernd Samland. Welch ein Glücksfall: Ein Stück, dessen geschliffene Dialoge (auch in der deutschen Übersetzung) als dramatische Kosmogonie von unerhörtem Anspruch den Generationen-(Macht-)Kampf am Beispiel einer Studentin und eines Professors aufzeigen, dargeboten in der dichten und kämpferischen Inszenierung des Hausherrn Meinhard Zanger und der ebenso einfach wie geschickt zu verwandelnden Szene des Bühnenbildners Darko Petrovic
von zwei glänzend disponierten Menschendarstellern: Nagmeh Alaei und Bernd Reheuser. In den Dialogen zwischen den beiden (unter dem befremdlichen Titel, der einem norwegischern Volkslied entnommen sein soll), in denen das eine Ich zu dem anderen Ich spricht, in einer stetig ringenden Argumentation, die die Textur der Szene verlebendigt, entwickelt sich durch nahezu besessene, energiegeladene Schauspieler von hoher intellektueller Stoßkraft ein rasender, harter, zuweilen empathischer intellektueller Kampf. Das Ganze eine riesenhafte und vehemente Skizze. Allergrößte Hochachtung!!!
7. Tag
Es muss an dessen seit über dreissig Jahren in Kennerkreisen bekannten darstellerischen und inszenatorischen Qualitätsstandards liegen, dass das Münsteraner Wolfgang Borchert Theater gleich zu zwei Gastspielen im Rahmen der hamburgischen Privattheatertage 2013 eingeladen wurde.
Am siebten Tag, also ihrem zweiten Abend an der Elbe, präsentierte die Bühne Ingrid Lausunds Satire „Benefiz. Jeder rettet einen Afrikaner“ in Tanja Weidners intelligenter Inszenierung, diesmal im gastgebenden Winterhuder Fährhaus. Im Einführungstext zu dieser Produktion heißt es: „Fünf engagierte Menschen proben eine Wohltätigkeitsveranstaltung für ein afrikanisches Brunnenprojekt … ein Stück über den Wunsch nach einer besseren Welt und die Tücken unserer Wohltätigkeitsgesellschaft.“
Nun, ein Stück war es nicht, was die Zuschauer zu sehen und (vor allem anderen) zu hören bekamen, eher ein Art politisches Kabarett ohne wirkliche Handlung, aber eindringlich und wirkungsvoll vorgetragen von einem Fünferteam, das auch – sozusagen zwischen den Zeilen – aus der Höhe seines privat-persönlichen Engagements kein Hehl machte. Eine Fülle glänzender, zumeist monologischer Einzelleistungen, von Autorin und Regisseurin geschickt mit komisch-komödiantischen Details gewürzt, die dem Publikum des Winterhuder Fährhauses offenbar sehr gefielen, würzten den Abend und erhöhten – hoffentlich – die Spendenfreudigkeit jedweden Besuchers, als die fünf sehr geliebten Darsteller (Saskia Boden, Anuk Ens, Florian Bender, Sven Heiß und Jürgen Lorenzen) am Ausgang des Abends tatsächlich für ein Afrika-Projekt sammelten, das das Theater-Ensemble unterstützen oder gar finanzieren möchte.
8. Tag
Zu diesem Leipziger Allerlei mit dem eigenartigen Titel „Keine alltägliche Übung oder zwischen den Beinen eines Mädchens“, einer merkwürdig trüben Melange zwischen dem Giganten Georg Büchner und dem Krimiautor Hansjörg Schneider möchte sich der Berichterstatter nicht wertend äußern, um niemandem zu nahe zu treten.
9. Tag
Nun hat die seit Jahrzehnten weit über Bremen hinaus bekannte Shakespeare Company einem der berühmtesten und berüchtigsten Königsdramen des Genies von Stradford mit einer ebenso straffen wie delikaten Inszenierung (Ricarda Beilharz) durchschlagende Wirkung verschafft: „Richard III“. Ein Darstellerteam von hoher Sprachkultur und intelligentem Spiel machte – wenn auch im heutigen Gewand – den Gastspielabend im Harburger Theater zu einer Perle der hamburgischen Privattheatertage.
Was Regisseurin und Titelrollendarsteller Michael Meyer dem unseligen Richard an Adel, an Knappheit, an böser Lust, an sagenhafter Grazie, aber auch an brutaler Ausstrahlung und greifbarer Rücksichtslosigkeit mitgegeben haben, erschien wie die Inkarnation aller im Stück lauernden Möglichkeiten.
Hohlwangig-nachtbleich und dennoch reich an plastischer Zeichnung: Peter Lüchinger als Buckingham. Ein weibliches Weltbild in düsteren Tönen zeichnete Kathrin Steinweg als Königin Elisabeth. Die Betrachtungsweise des mitreißenden Stückes in der harten, aber durch die Bremer offenbar noch heftig modifizierten Übersetzung von Thomas Brasch, zeigte sich für die faschistische Überhöhung der „Edelmenschen“ viel weniger anfällig als der konventionelle Glaube an den vergänglichen Glanz der Persönlichkeit.
Die Zuschauer schieden offensichtlich bewegt aus dem hässlichen Harburger Haus. Sehen und Erkenntnis wurden beschieden nach dem Shakepare’schen Motto aus seinem „Lear“: „Reif sein ist alles!“
10. Tag
Ausnahmsweise sei das Zeugnis der Jury zur Erklärung dieser Produktion des Berliner Ballhauses an der Naunynstraße (einer seit 1983 bestehenden Einrichtung des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, die von der Berliner Senatskanzlei für Kulturelle Angelegenheiten gefördert wird) unter dem merkwürdigen Titel „Die Saison der Krabben“ hier an den Anfang gestellt, weil es den Abend sehr zutreffend charakterisiert, selbst wenn man die Kategorie „Singspiel“ nicht besonders mag und die Betrachtung des Migrantenthemas innerhalb unserer Gesellschaft auf diese unterhaltsame Weise nicht goutiert:
„Die Schauspieler und Musiker erzählen, singen und schreien von der Heimatlosigkeit der Gastarbeiter in dritter Generation, und man entdeckt seine eigene Heimatlosigkeit, ohne gewusst zu haben, dass sie in einem steckt. Kleine Gesten werden zu großen Bildern, Scherz wird zu Schmerz und erzeugt Empathie und Verstehen“!
Kein Zweifel: Der Abend – in Hakan Savas Micans Inszenierung und unter der musikalischen Leitung von der Dame Sinem Altan, die auch Klavier und Percussion spielt – ist gut gemacht. Den Darstellern liegt deutlich die Thematik am Herzen, deshalb sind sie engagiert, genau und präzise in ihren Nummern und Dialogen. Die Direktion legt dar – so war einem Begleitdruck zu entnehmen –, „dass es sich schlicht und einfach um ein Singspiel handelt und nicht, wie die Gastgeber (s. o.) es formuliert haben‚ um das Thema „Heimatlosigkeit in der dritten Generation“!
Fazit: Ein Abend mit Könnern von Sängern (selbstverständlich zweisprachigen!), Schauspielern und Instrumentalisten (vor allem einer glänzenden Pianistin mit Namen Sinem Altan), der – wie bei jeder Veranstaltung dieser erfolgreichen Serie, die Axel Schneider initiiert hat – das Fassungsvermögen des Auditoriums nahezu sprengte und das Publikum äußerst enthusiasmiert zurückließ!
(Schlussbemerkung: Der merkwürdige Titel erklärt sich aus dem Verhalten der Halloween-Krabben, die eine Küstenstraße überqueren müssen, um zu ihrem Ursprungsort zurückzukommen.)
11. Tag
Das Schlusslicht der diesjährigen Privattheatertage – wiederum auf der Bühne der Kammerspiele an der Hartungstraße – war ein Publikum-Jubelfest: die köstliche französische Komödie „Der Vorname“ von Matthieux Delaporte und Alexandre de la Patellière in Max Claessens wohlgelungener, launiger Inszenierung des Jungen Theaters Göttingen, das sich in jener Universitätsstadt seit Jahrzehnten berechtigt neben dem berühmten Deutschen Theater behauptet. Die Handlung spult sich ab im Wohnzimmer des Literaturprofessors Pierre und seiner Frau Elisabeth, die Elisabeths Bruder Vincent und dessen schwangere Frau zu Gast haben. Als Fünfter im Bunde gesellt sich der Musiker Claude hinzu.
Das Ganze gemahnt zunächst ein wenig an Albees „Virginia Woolf“, aber bald stellt sich heraus, dass trotz einiger deutlicher dramaturgischer Verwandtschaftsstränge diese französische Charme-Komödie eine andere, sehr sympathische Prägung aufweist. Immerhin soll ein noch ungeborenes Kind demnächst den Vornamen Adolf tragen … Die daraus resultierenden Dialoge, Trialoge, Quatrologe und Quintologe (Begriffe, die es im Grunde im Schauspiel nicht gibt, die aber hier sehr nützlich sind!) reißen zwar auch die Abgründe der menschlichen Seele auf und machen sie sichtbar, das Ganze aber auf eine derartig gruselig-komische Weise, dass ein „Brüller“ nach dem anderen das Kammerspiel-Auditorium konvulsivisch durchraste. Fantastisch! Elisabeth-Marie Leistikow, Constanze Passin, Dirk Bötther, Gintas Jocius und Philip Leenders gestalteten den Abend überzeugend und vergnüglich.
Preisverleihung
Die spannenden Stunden der Preisverleihung haben begonnen. Professionell moderiert von Johanns B. Kerner entwickelt sich auf der traditionsreichen Bühne der Kammerspiele in diesem zweiten Jahr der Hamburger Privattheatertage – sozusagen – Klein-Hollywood, also eine sehr gelungene Mini-Imitation der Oscar-Verleihung wegen der vielen beglückten (weil andere beglückenden) Menschen im Auditorium, die von Laudationes und guten Wünschen bis hin zu der in Aussicht gestellten dritten Wiederholung im Jahr 2014 alles ebenso gern hören wie dem Protest der Theaterleute zustimmen, die kommunalen Verwaltungen möchten nun endlich von der Unsitte Abstand nehmen, ausgerechnet an ihren Kulturetats Einsparungen vorzunehmen (die ja zu den freiwilligen Leistungen zählen, also ziemlich problemlos zu beschneiden sind!).
Aktuelles Beispiel in diesem Fall: das Junge Theater Göttingen, das mit seiner außergewöhnlichen Inszenierung der Gesellschaftskomödie „Der Vorname“ (unsere Würdigung dieser Produktion siehe oben) mit überwältigender Mehrheit den Publikumspreis erhält, in der Heimatstadt aber von der Schließung bedroht ist!
Die übrigen Ergebnisse der Privattheatertage, die wiederum mit einem Gesamtetat von nur 500.000 Euro aus der Schatulle des Bundesbeauftragten für Kultur, Bernd Naumann, finanziert werden konnten (was notabene die „Kulturstadt“ Hamburg wieder einmal keinen Pfennig kostete!), lauten:
Den Monica Bleibtreu-Preis erhalten das Berliner Ballhaus für „Die Saison der Krabben“, die Bremer Shakespeare Company für „Richard III“ und die Komödie Berlin für „Eine Sommernacht“. Alle diese hoch zu lobenden Produktionen sind in unserer hier publizierten Gesamtberichterstattung gewürdigt.