Text: Christian Hanke / Foto: Christian Manthey
Wenn Ayla Yeginer von ihrer Arbeit und ihrem Leben spricht – was fast dasselbe ist –, ist ihr temperamentvoller Redefluss kaum zu bremsen, und ihre fröhlichen Augen leuchten dabei. Kein Wunder, betreibt sie doch gleich zwei „Leidenschaftsjobs“, wie sie es nennt. Die 37-jährige Winterhuderin ist Theaterregisseurin und Mitinhaberin eines Cafés in ihrem Stadtteil.
Auch Theater hat sie in Winterhude gemacht, am Theater Kontraste im kleinen Saal der Komödie Winterhuder Fährhaus. „Das war damals meine Lebenswelt. Theater, Café und Wohnung gleich ums Eck“, erzählt sie. Nach der Schließung des Theaters Kontraste engagierte sie der Intendant Michael Lang immer wieder ans Ohnsorg Theater, das er inzwischen leitet.
Gerade arbeitet Ayla Yeginer an Hans Falladas Roman „Kleiner Mann, was nun?“, den sie auf der kleinen Bühne des Ohnsorg-Studios in einer Mischung aus nieder- und hochdeutscher Sprache theatral umsetzt. Mit nur vier Schauspielern. Die Geschichte vom Niedergang der „kleinen Leute“ in der Weltwirtschaftskrise ab 1929 spielt bei Ayla Yeginer in Norddeutschland. Das Ehepaar Pinneberg aus Falladas Roman, das ein Kind erwartet, kommt aus der niedersächsischen Provinz und sucht sein Glück in Hamburg. Das lässt allerdings auf sich warten. Ähnlichkeiten zu heute? „Wir lassen die Zeit offen. Das Problem ist zeitlos“, erläutert die Regisseurin, die sich beim Inszenieren immer im Wohlfühlmodus befindet. Theaterregie ist ihr „absoluter Traumberuf“.
Sehr früh hat sie sich schon für Theater interessiert und auch Erfahrungen am Theater sammeln können. Sie stammt aus einer Theaterfamilie. Ihr Vater Murat, der als Kind aus der Türkei nach Deutschland kam, ist Schauspieler und Regisseur und seit 2018 Oberspielleiter am Ohnsorg Theater. Dank Tochter Ayla! Sie holte ihren Vater nach Hamburg, wo er am Theater Kontraste und am Ohnsorg spielte und inszenierte. Er spielte sogar schon in einer Inszenierung seiner Tochter. Die beiden hatten kein Problem miteinander. „Wir profitieren voneinander, weil wir uns so gut austauschen können“, beschreibt Ayla Yeginer das Verhältnis zu ihrem Vater. Überhaupt sind ihre Eltern, die Familie, für die Regisseurin sehr wichtig: „Das sind meine größten Förderer und meine härtesten Kritiker.“
Ganz geradlinig verlief Ayla Yeginers Karriere aber nicht. Nach dem Abitur studierte sie Betriebswirtschaft! Um sich von der Theaterfamilie abzugrenzen. „Als Jugendliche wollte ich auf keinen Fall ans Theater. Ich kannte ja auch die negativen Seiten, zum Beispiel, dass die Eltern oft abends nicht zu Hause sind“, erzählt sie. Doch die Lust am Theater holte sie wieder ein. „Ich konnte mir keinen 9- bis 17-Uhr-Job vorstellen“. Und einen Beruf mit Grundlage BWL-Studium schon gar nicht.
Alles rund ums Theater lernte Ayla Yeginer dann am Winterhuder Fährhaus. Im Praktikum, als Pressesprecherin, im Vertrieb und schließlich als Dramaturgin und Regisseurin. Dank Michael Lang, der ihr das alles zutraute. „Es hat sich so entwickelt“, erläutert Ayla Yeginer. Ein Satz, den man so oder ähnlich oft von ihr hört. Als ob die Theaterlaufbahn zu ihr gekommen ist.
Im Ohnsorg-Studio geht es jetzt in die Endproben. Am 15. März ist Premiere. Die Pulsfrequenz steigt. Der für Ayla Yeginer schönste Teil der Probenzeit ist vorbei. Das ist der mittlere Abschnitt: „Wenn schon vieles vorhanden ist, man aber noch viel ausprobieren kann“. Dann festigt sich das Team. Ein Vorgang, auf den die Regisseurin großen Wert legt. „Man wächst miteinander. Das ist ein großer Mehrwert“, findet Ayla Yeginer, die immer mit ihren Schauspielern zusammenarbeitet und sie „gar nicht hierarchisch“ in die Entwicklung der Inszenierung mit einbezieht. Daher mag sie den Begriff „Spielleiterin“ lieber als Regisseurin. „Ich liebe meine Schauspieler“, bekennt sie, hat großen Respekt vor ihnen, denn: „Sie müssen sich permanent offenbaren“. Damit umzugehen, ist für sie „eine höchst sensible Angelegenheit.“ Sie weiß aber auch: „Ich halte die Fäden zusammen. Am Ende bin ich die Entscheiderin.“ Ihr Ziel in jeder Probenarbeit: „Meine Vision verteidigen, Vertrauen und eine geschützte kreative Probensituation schaffen.“ Den Probenprozess sieht Ayla Yeginer so: „Ich baue ein Gerüst ,und wir füllen es zusammen, sorgen dafür, was für ein Haus es wird.“
Ayla Yeginer liebt politisch motivierte Stücke. Die hat sie sowohl am Theater Kontraste als auch am Ohnsorg inszeniert. Wie „Mutti“ über die bundesdeutsche Politprominenz, „Phantom – Ein Spiel“ zur Situation von Geflüchteten hierzulande und auf der Ohnsorg-Bühne „Allens Düütsch oder wat?“ auch zur Migrantensituation. Kindertheater kann Ayla Yeginer ebenfalls viel abgewinnen. In der Vorweihnachtszeit des vergangenen Jahres inszenierte sie den „Zauberer von Oz“ am Ohnsorg Theater. „Kinder sind sehr direkte Zuschauer. Die sind so offen und haben so viel Lust auf Theater“, schwärmt sie vom jüngsten Publikum.
So gar nicht anders und doch wieder anders als die Regie empfindet Ayla Yeginer die Arbeit in Ihrem Café: „Es hat etwas unheimlich Kreatives“, aber auch „etwas Handwerklich-Konkretes“ und ist damit ein ganz anderes Feld als das Theater. Für Ayla Yeginer eine angenehme Abwechslung. Hier an der belebten Hudtwalckerstraße fühlt sie sich ebenfalls wohl: „Ich bin gern Gastgeberin. Das Café ist ein nachbarschaftlicher Ort des Genusses, ein erweitertes Wohnzimmer mit vielen Stammgästen.“ Wie kam sie zum diesem Café? „Es ist passiert“. Die Vorbesitzerin erzählte ihr, dass sie das Café aufgeben möchte. Ayla Yeginer übernahm. Ab Sommer wird sie das Café ihrem Team überlassen müssen. Denn die rührige Theaterfrau übernimmt ab der nächsten Spielzeit eine neue Aufgabe. Gemeinsam mit einer Dramaturgin wird sie die Schauspielsparte des Theaters für Niedersachsen in Hildesheim leiten. Wie kam es nun dazu? „Es hat sich so ergeben.“
Aber bestimmt wird der umtriebigen Regisseurin, die immer Elan und Optimismus ausstrahlt, noch Zeit bleiben, um mit ihrem Bully durch die Lande zu fahren. Den hat sie selbst ausgebaut!
„Kleiner Mann, was nun?“ Ohnsorg-Studio, 15.3. bis 3. Mai 2020