Text: Hans-Peter Kurr
Zwei bemerkenswerte Ereignisse (für die es offenkundig einen ursächlichen Zusammenhang gab) fanden am Premierenabend von Jean Genets genialem Politstück aus der Werkstatt des absurden Theaters in der Inszenierung des (Noch-)Intendanten der Münchener Kammerspiele, Johan Simons, die Beachtung des Publikums: Zum ersten blieben sämtliche Seitenlogen unbesetzt (will sagen: wurden an der Kasse gar nicht erst zum Verkauf angeboten!), desgleichen die äußersten Plätze sämtlicher Parkettreihen. Gewiss geht es dem Schauspielhaus, trotz Umbaukosten sowie jenen für diesen protzigen, aber nach Aussage der Intendantin noch immer nicht voll funktionsfähigen, neuen Bühnenturm wirtschaftlich hervorragend, sodass es sich einen derartigen Einnahmeverlust leisten kann. Zum zweiten erlosch – ungefähr nach der Hälfte der mit 110 Minuten angegebenen, wieder einmal pausenlosen Produktion die gesamte Bühnenbeleuchtung.
Nachdem das Licht im Zuschauerraum hochgefahren war, erschien eine Abendregisseurin vor der Rampe und erklärte, dies gehöre nicht zur Inszenierung, sondern sei eine Panne (ein Wort, das allein aus Gründen des Aberglaubens im professionellen Theater für gewöhnlich nicht benutzt wird). Ein umsichtiger Darsteller hatte seiner Kollegenschaft noch vor der Information durch die Regisseurin zugerufen, jeder möge auf seinem Platz bleiben. Nach kurzer Zeit erstrahlte die Bühne wieder. Und für Theaterfachleute schien der Grund für die Netzüberlastung erkennbar: Aus beiden sogenannten Nullgassen warfen „Swobodas“ (nach einem österreichischen Bühnenbildner benannte lichtstarke Scheinwerfersäulen, die gewöhnlich bei Ballettabenden eingesetzt werden) ihr gleißendes Licht auf die Vorbühne, die in geringer Tiefe von einer zerschnittenen Opera-Folie begrenzt wurde, hinter der kilowattzehrende Scheinwerfer dafür Sorge trugen, dass die bis auf zwei Ausnahmen unkenntlich maskierten Schauspieler auch schattenspielend, dafür allerdings textunverständlich, hinter dieser Folie mitwirken konnten. Aus unverständlichen Gründen war die Spielfläche so schmal gehalten, dass jene Rückprojektionslichtquellen alle Außensitzenden erheblich geblendet hätten.
Genet zeigt in all seinen Stücken, sei es in dieser Politfarce „Die Neger“ aus dem Jahr 1959 oder in „Der Balkon“, seien es die zwei Einakter „Unter Aufsicht“ und „Die Zofen“, auf geniale Weise, formiert zu tödlicher Farce, die Fülle absurder Abenteuer, die der Mensch von heute mit den zeitlosen Monstern, die in jedem von uns stecken, zu bestehen hat. Daher finden tödliche Wortgefechte statt – ausgekämpft in einer auf langen Strecken absurd komisch gezeichneten Welt. Da aber alle Figuren, völlig unheroisch, unserem Alltag entnommen sind, stehen Burleske und Tragik bei jenem Autor in einer nachgerade verschwisterten Koexistenz, in der auch die Figuren, auf der Suche nach ihrer wirklichen Identität, austauschbar werden. Und darin liegt die Schwierigkeit für jeden Inszenator, dessen vornehmste Aufgabe die Verdeutlichung dieser komplizierten Vorgänge ist, sie also, selbstverständlich mithilfe der Schauspieler, dem in der Regel ungeübten Zuschauer durchsichtig und verstehbar zu machen. Das gelang dem renommierten Niederländer Simons bei dieser Produktion eindeutig nicht. Ein sehr beunruhigender Abend. Der Rest ist Schweigen.
Weitere Aufführungen: 10.10., 29.11. und 2.12., jeweils 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus