Text: Dagmar Ellen Fischer
Sieben Jahre gehörte André Jung zum Ensemble des Deutschen Schauspielhauses, von 1993 bis 2000 während der Intendanz von Frank Baumbauer. Als Gast kommt der mehrfach ausgezeichnete Schauspieler nun zurück nach Hamburg und übernimmt eine Rolle in Karin Henkels Inszenierung „Die Übriggebliebenen“.
GODOT: Die Uraufführung nutzt drei Texte von Thomas Bernhard, zwei Dramen und einen Roman, und verwebt sie zu einem Abend; welchen gemeinsamen Nenner gibt es?
André Jung: Eine bestimmte Geschwisterkonstellation, bestehend aus einem Mann und zwei Frauen, taucht in allen drei Texten auf. Aber es gibt auch Ähnlichkeiten in der Thematik sowie vergleichbare Verhaltensmuster der Figuren mit Obsessionen und Ängsten.
Sie spielen Rudolf Höller, einen Richter „Vor dem Ruhestand“, wie Bernhards Drama aus dem Jahr 1979 heißt. Dieser Mann feiert alljährlich heimlich am 7. Oktober Himmlers Geburtstag und hofft, dies eines Tages wieder öffentlich tun zu dürfen …
AJ: Dieser Höller ist ein total ängstlicher Mann, scheinbar ganz lieb. Doch wird er gemobbt. Und so redet er nur davon, dass er kein schlechter Mensch sei, dass er alles richtig gemacht und sich immer für das Vaterland und die Menschen eingesetzt habe. Und er ist sicher: Die meisten sind „gute“ Deutsche …
Wie nähert sich André Jung diesem Rudolf Höller?
AJ: Ich versuche, es mit dem zu verbinden, was ich heutzutage erlebe – es ist ja alles wieder da! Dieser Rechtsruck in europäischen Ländern, da braut sich etwas zusammen und viele Leute rühren wieder in der Vergangenheit. Auch Höller und seine Schwestern sind Verfolgte, die Vergangenheit lässt sie nicht los. Es ist abgrundtief abstoßend und trotzdem abgrundtief bedauernswert. Die Ursache dafür liegt in einer ebenso abgrundtiefen Angst, das Ganze ist krank.
Schlägt auch Karin Henkels Inszenierung einen Bogen ins Hier und Jetzt?
AJ: Nein, das wird kein Aufruf gegen Rechts, es bleibt Thomas Bernhard. Wer den Autor kennt, weiß sowieso, dass es diesen Vergangenheitshass gibt, und dessen Anti-Nazi-Haltung ist bekannt. Interessant aber ist, wie die Figuren gestrickt sind, „lieb“ halt, aber zutiefst braun – es ist erschreckend.
„Vor dem Ruhestand“ kombiniert Henkel mit dem bekannten Drama „Ritter, Dene, Voss“ und dem Roman „Die Auslöschung“; wie finden die drei Quellen zueinander?
AJ: Das ist die Herausforderung, eine Verquickung hinzukriegen. Die drei Handlungsstränge finden in einem Geisterhaus statt, einem Fantasieraum voller Erinnerungen.
Ihre Tochter Marie Jung ist ebenfalls Schauspielerin und zurzeit am Hamburger Thalia Theater engagiert, Sie sehen sich vermutlich?
AJ: Ja, sie ist vor kurzem Mutter geworden, und so habe ich neulich auf meine Enkelin aufgepasst.
Nachdem Sie Hamburg im Jahr 2000 verließen, waren Sie am Schauspielhaus Zürich und an den Münchner Kammerspielen engagiert, seit 2015 gehören Sie keinem Ensemble mehr an, warum?
AJ: Ich war 40 Jahre lang immer in Ensembles, an den jeweiligen Häusern habe ich Theaterfamilien gefunden, wunderbare Künstler kennengelernt, die mich bereicherten – aber ich wollte noch einmal etwas anderes machen. Zum Beispiel mehr Filme drehen.
Was ist Ihnen näher: Film und Fernsehen oder die Arbeit auf der Bühne?
AJ: Die Bühne. Einen Film zu drehen, zwei Monate mit einer tollen Crew zu verbringen, ist wunderbar, anders schön eben. Aber Theater ist für mich das Mutterhaus, die Heimat des Schauspielers; so wie mein Dorf, aus dem ich komme.
Sie sind gebürtiger Luxemburger, haben Ihre Schauspiel-Ausbildung in Deutschland gemacht, mussten Sie damals kämpfen, um Ihren Berufswunsch durchzusetzen?
AJ: In Luxemburg gab es keine Schauspielausbildung, insofern musste ich ins Ausland gehen. Mein Vater hat mich unterstützt und es seinerzeit befürwortet, dass ich nach Deutschland gehe – Anfang der 1970er Jahre durchaus keine Selbstverständlichkeit! Er war ausgebildeter Musiker, konnte aber nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr in seinem künstlerischen Beruf arbeiten. Mein Vater sagte damals: Goethe war kein Nazi!