Text: Angela Dietz / Foto: Guy Marsan
Schöne Schauergeschichten, einmal durchs Alphabet dekliniert, nach Regeln vieler Künste – die hat „Die Neue Kompanie“ von der Bühne in den digitalen Raum verlegt. Auch Kompanietänzer und -Schauspieler waren durch die Coronapandemie gefordert umzudenken, weg von der Bühne. Das ist ihnen mit einer liebevoll lustvollen Stop-Motion-Produktion, einem Zeichentrickfilm aufs Beste gelungen.
Von A wie Argusaugen blättern sich die Buchstaben-Gruselgeschichten mal wie ein Bilderbuch zweidimensional auf, mal dreidimensional als Raum, über H wie Hydra und M wie Mittagsfrau bis Z wie Zombie. Die Monster, Hexen, Gespenster, Geister und Ungeheuer kommen aus vielen Ländern, behandeln auch politische Themen wie Überwachung (Argusaugen) oder Diskriminierung und Mobbing ‒ sind aber insgesamt eher zum Lachen als zum Fürchten.
Die Kreateure der einzelnen Stories schaffen und sind die dramaturgische Klammer. Als Talking Heads sind sie ins Bild inszeniert ‒ ihr Kopf als kleines Foto vor unterschiedlichen Hintergründen, das Sprechen funktioniert mit einem collageartig versehenen zweiten Mund wie ein Klappmaul. Jeder spricht ein Gedicht und führt damit die Figur und ihre Story ein, kleine Meisterwerke voller Alliterationen, manche haben gar ein Tautogramm gedichtet: Quälgeist quengelt, quält, quietscht qualitätsbewusst. Diese Texte zu hören, ist ein großes Vergnügen.
Und mit großem Vergnügen machen wir weiter. Die Bilder, die „Grusel Grusel“ schafft, sind von überbordender Detailfülle und voll Einfallsreichtum. Die Spielorte: gleich mehrere Badezimmer – vielleicht weil sich der ganze „Schweinkram“ von Duschgel, Rasierschaum, Körperlotion und „Slime“ dort so schön rücksichtslos wegbrausen lässt –, papierene Hintergründe, blaugerippt, gemustert wie Geschenkpapier, die Kaffeetafel von oben oder ganze Straßenzüge und die Treppen im Haus.
Wie sich Gemüse in Spielfiguren wandelt, zeigen die Hydragurken, die alles angreifen, das weiche Toastbrot der Länge nach durchbohren, vom großen Messer in Stücke geschnitten sich vermehren wie verrückt. In der Variante G wie Gespenstergeschichte wächst eine gammelige Birne unter grün-weißem Nebel aus einem dunklen Berg. Vereinigt mit weiterem Gammelobst und -gemüse, zieht die Bande rülpsend und schmatzend durch die ordentlich aufgereihte Frischtomatenarmee, was in einem Tomatenmatschmassaker endet.
Die Figuren oder Objekte, die zu Leben erwachen, können Federn, Klo- und andere Bürsten, abgeschnittene Plastikohre, Pfannenufos oder schlicht eine eklige Masse sein, die sich die Treppe herunter dem Zuschauer entgegenschleimt. Knetmännchen entschlüpfen der Haribotüte oder die ganze Szenerie ist aus Salz, Reiskörnern und Glasnudeln gezeichnet.
Bei der Tongestaltung walten große Freiheit und Reichtum, die für die Stücke die angemessene Atmosphäre schaffen. Charleston- oder boogieartige Klaviermusik gesellt sich zum sinfonischen Klang aus der Dose, unheimliche, anschwellende Töne aus dem Synthesizer treffen auf Blubbermusik, Roboterstimmen, Miniatursuiten und fröhliche Melodiefetzen.
Dieses gefilmte Figurentheater und Theater der Dinge ist reich an Anspielungen auf Kunst-, Theater- und Kinogeschichte von Dada bis Experimentalfilm. Der Neuen Kompanie tröstet uns mit dieser gelungenen und unterhaltsamen Umsetzung des Themas „Angstlust“ über die fehlende Magie des (Bühnen-)Raumes hinweg. Können wir das bitte noch einmal anschauen!
Jaaaa! Das Fundus Theater, die Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg, der Fonds Darstellende Künste und die Hamburgische Kulturstiftung machen es möglich.