Text: Angela Dietz / Foto: Ellen Coenders
„Heidi“ von Johanna Spyri auf die Bühne zu bringen, ist ein Wagnis, und die Idee schwirrte lange in den Köpfen der Schauspielerinnen von kirschkern Compes & Co herum. Am 27. September 2919 war es im Fundus Theater soweit.
Es ist herzallerliebst und klug, wie Regisseur Marcel Weinand, der auch für Kostüme und Bühne sorgt, mit sparsamen Mitteln die Schweizer Berge, die Stadtwohnung in Frankfurt und eine größere Truppe an Personal herbeizaubert. Mit ihrer großen Spielfreude gelingt es Sabine Dahlhaus und Monika Els, den Zauber der Geschichte zu vermitteln.
Neben der großen Bühne reicht eine Art Schultisch und ein türkisfarbenes Tuch als Bühnenprospekt. Das Raffinierte: Er ist mit herausziehbaren Miniaturbrettern als weitere Spielfläche konstruiert. Wunderschön und sehr lustig zugleich sind die Kuhglocken, mit deren Melodie Dahlhaus und Els die Ziegenherde von Geißenpeter die Alm heraufziehen lassen.
Wenn der eisige Winterwind um Großvaters Hütte pfeift und tost, biegen sich die Faller-Modellbahn-Tannenbäume und neigt sich die Miniaturhütte. Vielseitig verwendbare Barbiepuppen verkörpern glaubhaft etwa Großmutter Sesemann, schick gewandet mit tiefgrünem Glitzerkleid, aber mit sanfter Stimme sprechend. Sodass es glaubwürdig ist, wenn sie Heidi dazu bringt, lesen zu lernen.
Unzählige und rasante Rollenwechsel, auch solche zwischen Figuren- und Schauspiel, bewältigt das Duo, in der ersten Neu-Inszenierung mit Monika Els statt Judith Compes, bravourös. Der Text der Erzählung ist von Compes dramaturgisch gelungen auf das Nötigste und Spielbare reduziert. Die Figuren bleiben in ihrer Sprache kenntlich, etwa die gestrenge Gouvernante von Klara Sesemann, dem im Rollstuhl sitzenden Stadtkind oder der wortkarge Almöhi, Heidis Großvater.
Dahlhaus’ schüchterner Geißenpeter, der fast wortlos vor Freude glüht, als er Heidi endlich wiedersieht, ist eine Pracht. Moni Els’ gebeugtem, bärtigem und ebenso wortkargem Almöhi ist die Wärme für Heidi im knappen „Nun wollen wir essen“ anzuhören.
Ist „Heidi“ eine Geschichte von heute für heutige, fünfjährige Kinder? Kennen sie die Geschichte von 1880? Zumindest kennen viele von London über Teheran bis Tokio die Zeichentrickfilme.
Es geht um das Zuhause, den Ort, wohin man gehört, und um Veränderung. In Johanna Spyris Erzählung geht es auch um den krassen Unterschied zwischen Stadt und Land, ein Thema, das die Menschen zurzeit der Industrialisierung sicher ganz anders bewegt hat als heute die Digitalisierung uns. Und es geht darum, ob die Menschen ein Herz haben und ob das ausreicht fürs Leben.
Die Inszenierung von kirschkern Compes & Co. entgeht dem Kitsch, den manche Adaption draus gemacht hat, und verklärt weder die Einsamkeit noch wird die Elternlosigkeit sentimental. Das gelingt dem Team, weil es auf Humor setzt, und zwar in seiner erprobten Weise. Es verrät seine Figuren bei aller Komik nicht. Zarte Momente, in denen das Duo sehr leise zweistimmig singt, berühren. Obwohl dieses „Jodeln“ leicht zum kitschigen „Alpenglühen“ mutieren könnte, entsteht hier ein Moment der Tiefe.
Das Herz allein reicht jedoch nicht, um in der Moderne anzukommen. Doch herzlos funktioniert das Zusammenleben auch nicht. Das wusste schon Johanna Spyri. Weshalb auch der widerspenstige Almöhi in die Dorfgemeinschaft zurückkehrt und Heidi schließlich freudig lesen lernt, ohne ihre Liebe zu den Bergen aufzugeben. Eine zeitlos schöne Geschichte, jetzt (nicht nur) für Kinder auf der Bühne zu sehen.