Kritik / Tanz & Performance

Herzklopfen

„Intruder“, Sprechwerk
Intruder

Dani Brown und Matthieu Svetchine auf Innenschau in „Intruder“.

Der alte Theatermagier Peter Brook sagte einmal, es gebe wohl kein vergleichbar unbekanntes Gelände, wie das unseres eigenen Gehirns. Das körpereigene Innere als Terra incognita zu betrachten, ist ein spannender Gedanke. Und auf diesem Feld tummelt sich auch „Intruder“, die Performance/Theater-Inszenierung. Sie widmet sich dem Herz. Auf Basis von Texten aus des französischen Philosophen Jean-Luc Nancy Werk „L’Intrus – Das fremde Herz“. Er setzt sich in seinem Buch damit auseinander, wie er das neue implantierte Organ im eigenen Körper als „Eindringling“ empfunden hat. Mit einem Kosmos daraus entspringender Assoziationen arbeiten die Regisseurinnen Ivona Sijacovic und Anna Schildt. Und scheinen in ihrer Bühnenkonstruktion erneut an Peter Brook und seine Theatertheorien zu erinnern, wenn sie den Zuschauer erst mal mit einem leeren Raum konfrontieren. Hier ist jeder Besucher eingeladen, sich zu einem ganz eigenen Blickwinkel aufs Geschehen zu verhelfen. Der Bühnenraum ist Spiel- und Beobachtungsfläche zugleich. Beim Zutritt muss jeder auf der weiten Fläche einen Platz für seinen bislang am Rand gestapelten Stuhl selber suchen. Damit ist das Spiel um Spieler und Beobachter, um ohnmächtigen Patienten und selbstbeherrschtes Subjekt eröffnet.

Dani Brown und Matthieu Svetchine kreisen um die Texte Nancys. Gern auf Englisch, mal auf Französisch, viel auf Deutsch. Sie kauen sie, referieren und deklamieren. Und sie nähern sich körperlich dem Objekt ihrer Betrachtung – dem Herz –, betrommeln ihre Körper, tanzen – auch mit- und gegeneinander. Dani Brown weht im Atemrhythmus ihres Partners über die Bühne, schnauft essentielle Fragen über Opferbereitschaft des Einzelnen ins Mikro („Would you jump in a body of water full of piranhas to save your friend?“). Geradezu im Körperkontakt tanzt sie die verstreut umhersitzenden Zuschauern an und löst gelegentlich die Fronten zwischen Objekt und Subjekt auf.

Zusätzlich angefüllt wird das Text-und-Tanz-Universum mit Live-Bild-Projektionen, die über Leinwandbahnen flimmern, die einen kaum noch vom inzwischen freigelegten Zuschauerraum trennen. Die leeren Bänke im Saal werfen erneut die Frage nach der Rolle des Zuschauers auf. Und rückverweisen damit wiederum auf den Text des von Selbstzweifeln gequälten Autors, der sich mit dem als Eindringling empfundenen fremden Herz nicht zu arrangieren vermag. Über lange Passagen bleiben die Zuschauer im Halbdunkel auch allein zurück, während die Auseinandersetzung der Akteure über Textpassagen in der Garderobe läuft und nur als Leinwandbild mit Ton herüberdringt.

Es ist ein spannender Abend, den man mit offenen Sinnen – und bestimmt nicht müde – genießen sollte. Und es ist ein sehr intellektueller Abend. Aber auch ein sehr körperlicher. Eben mit viel Herz.

Text: Oliver Törner
Foto: privat

Weitere Aufführungen: Hamburger Sprechwerk, 9.+10.12.2011, 11.–14.1.2012, je 20 Uhr

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