Interview: Dagmar Ellen Fischer
Mit seinen Klassiker-Adaptionen sorgt der 31-jährige Regisseur Simon Stone international für Aufsehen. Ob antikes griechisches Drama oder Schauspiel aus dem 19. Jahrhundert, für jedes Stück schreibt er einen neuen Text. Mit „Peer Gynt“ arbeitet er erstmals am Schauspielhaus.
GODOT: Zum ersten Mal inszenierst Du am Schauspielhaus Hamburg, indes zum vierten Mal ein Stück von Henrik Ibsen, welche besondere Beziehung besteht zu ihm?
Simon Stone: Ich komme immer wieder zurück zu Ibsen, weil seine Ideen so stark sind. Man kann sie nicht kaputt machen, selbst wenn man sie ganz anders betrachtet und neue Texte schreibt.
Aber kaputt machen willst Du das Stück ohnehin nicht …
Eigentlich kann man Stücke überhaupt nicht zerstören. Bevor sie nicht auf der Bühne sind, sind sie noch gar keine Kunst, sondern eher eine Art Bedienungsanleitung für jemanden, der sie zum Leben erweckt. Wenn man alte Stücke so inszeniert, wie sie in ihrer Entstehungszeit gespielt wurden, können sie jedoch nicht lebendig werden.
Woran liegt das?
Einerseits an der Sprache: Ibsen ist nur auf Norwegisch ein Ibsen. Ins Deutsche übersetzt, hat man eine Fassung inklusive der Anschauungen des Übersetzers, und dann ist es ein deutsches Stück. Das ist bei Shakespeare genau so: „To be or not to be“ wollte er sagen, und eben nicht „Sein oder Nichtsein“. Das erste klingt sehnsuchtsvoll, das zweite philosophisch. Und zum anderen liegt es an der sich ständig verändernden Welt: Shakespeare schrieb über Dinge, die ihn damals umgaben. Einige von ihnen haben sich nicht verändert – wenn wir uns Wolken anschauen, entdecken wir immer noch Tierformen – ; andere schon. Wenn man die Elisabethanische Ära gründlich studiert hat, versteht man genau, was er meint. Aber das Publikum von heute hat das Wissen über jenes Zeitalter in der Regel nicht mehr und wird mit einer Anspielung auf die damalige französische Außenpolitik nur wenig anfangen können.
Die Konsequenz ist eine heutige Sprache mit zeitgenössischen Bezügen?
Ja, und damit stellt sich die Frage nach der Werktreue nicht mehr. Wenn man Shakespeare wichtiger nimmt, als die konkrete Aufführung seines Werks an einem bestimmten Abend, dann wird man dem Medium Theater nicht gerecht. Dann entsteht eventuell schlechtes Theater, nur weil man Schiller oder Shakespeare oder Ibsen besonders treu bleiben will.
Dann entstehen Deine Texte passgenau für die jeweilige Besetzung?
Ich schreibe speziell für Angela Winker oder genau für Josef Ostendorf, parallel zu den Proben. Ich habe mir bestimmte Schauspieler gewünscht – und ich habe die beste aller denkbaren Besetzungen bekommen.
Nur das Stück war nicht Dein Wunsch …
Ich wollte keine egozentrischen Männer in Selbstfindungsprozessen mehr sehen, die das Leben anderer zerstören. „Peer Gynt“ mag Mitte des 19. Jahrhunderts ein radikales soziales Statement gewesen sein, heute wirkt es wie intellektuelle männliche Masturbation. Erst als ich dachte, die Rolle mit einer Frau zu besetzen, konnte ich es mir vorstellen. Wir sehen selten Frauen auf der Bühne, die ihre Männer im Stich lassen und ihre Kinder vernachlässigen, um den Sinn des Lebens zu hinterfragen. In meiner Inszenierung sind es drei Frauen unterschiedlichen Alters, die versuchen, Peer Gynt zu werden und ihr Recht auf Außenseitertum zu behaupten.
Besteht nicht die Gefahr, dass diese Veränderungen in eine Beliebigkeit führen?
Nein, ich suche die Essenz. Und lasse mich davon inspirieren, dass Ibsen nach „Peer Gynt“ Stücke mit sehr starken Frauenrollen geschrieben hat. Es ist eine Familien-Saga über drei Generationen, mit Großmutter, Mutter und Tochter bzw. Enkelin, und diese Frauenfiguren stammen aus anderen Ibsen-Dramen. Am Ende steht nicht die Frage: Hätte ich zuhause ein anderes Leben führen können? Am Ende steht ein Fragezeichen.