Das Thalia Theater beging „Goldene Hochzeit“ anlässlich des Anwerbeabkommens zwischen der Türkei und Deutschland vor fünfzig Jahren. Eine Woche lang gab es dazu ein Festival in der Gaußstraße: Ein deutsch-türkisches Frühstück mit Mitgliedern der türkischen Gemeinde, Lesungen mit Feridun Zaimoglu und Hülya Özkan und Nachtfahrten mit einem Cadillac „Vom Bosporus zur Außenalster“ standen neben zwei Theateraufführungen auf dem Programm.
Eine davon forderte „Integrier mich, Baby“. Zunächst schwebte Bernadette La Hengst – halb Catwoman, halb Möwe – mit einem silbernen Sternenumhang ins Thalia in der Gaußstraße. Sie hat einen Auftrag zu erfüllen: Sie will Hamburg integrationsfit machen, 2033 Integrationshauptstadt Deutschlands zu werden. Sie schwärmt musikalisch von der „Hyperkultur“, die den Großstadt-Individualisten erst die volle Bandbreite der Entfaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stelle.
Kritische Anmerkungen im leichten Popgewand gibt es auch, zum Beispiel im Titel gebenden Song „Integrier mich, assimilier mich, nimm mich auf!“ Nur wer seine Identität völlig aufgebe, habe seinen Integrationskurs mit Auszeichnung bestanden.
Während La Hengst für die Unterhaltung zuständig ist, hat sie die Arbeitslast des Integrationskurses ihren multikulturell gut vorgebildeten Mitarbeitern überlassen. Mit einem Sprachkurs in Türkisch und einem Quiz am Overheadprojektor versuchten die drei Laiendarsteller den Wissensstand der Hamburger zu heben. La Hengst glänzt mit Ironie, die Dozenten verbreiten die Atmosphäre eines gutgemeinten Volkshochschulkulturprogramms. Wahre Interkulturalität sieht anders aus. La Hengst sollte die didaktischen Ziele ihres Unterrichtskonzeptes dringend überprüfen.
Wie viel spannender ist es, wenn Klischees einmal so wirkungsvoll durchbrochen werden, wie in der Garage der Gaußstraße. Das Theaterkollektiv „Oyun deposu“ aus Istanbul lieferte mit seinen Küchengesprächen dreier Frauen „Aptal, Siradan ve Suclu“ den theatralischen Beweis, dass es in der Türkei wohl doch nicht nur ein Rollenmodell gibt.
Diese drei türkischen Frauen reden über Probleme, die in dieser Offenheit selten auf deutschen Theaterbühnen zu hören sind. Wie spiele ich meinem Geliebten wirkungsvoll einen Orgasmus vor, wenn ich ihn noch nie erlebt habe? Wie mache ich einem Mann diplomatisch deutlich, dass ich an einem sexuellen Kontakt nicht interessiert bin? Wie habe ich die gierigen Blicke des Taxifahrers während einer Taxifahrt einzuschätzen? Wie kann ich mich als Frau darstellen, ohne zum Freiwild zu werden? Wo liegt eigentlich meine Klitoris? Welche Haarfarbe steht mir am besten? All‘ das wird zwischen Kaffeetassen und Fernseher ausgetauscht. Danach werden die Scheinwerfer umgedreht, aufs Publikum gerichtet und die Gesten und Haltungen der Zuschauer nachgeahmt – eine Art, ihnen den Spiegel vorzuhalten. Intelligentes, spannungsreiches Theater, das Vorstellungen gezielt und gekonnt ins Wanken brachte.
Text: Birgit Schmalmack
Foto: Oyun deposu