„Parlez! Echte Piraten. Recherchen in der Höhle des Zackenbarsches“, Uraufführung: 24.8.11 auf Kampnagel. Koproduktion: geheimagentur, FUNDUS THEATER, Internationales Sommertheaterfestival Hamburg und Wiener Festwochen
Lasst uns reden. Parlez!. Die Waffen sollen schweigen. Das steht als Motto und Titel über der geheimagentur-Produktion „Parlez! Echte Piraten. Recherchen in der Höhle des Zackenbarsches“. Mit der Uraufführung dieser Forschungstheater-Arbeit auf Kampnagel ist der geheimagentur ein Stück politisches Theater von, mit und für Kinder gelungen.
Hier die Kinder in den leuchtenden Lebensrettungswesten auf einem Schiffsdeck, dort die maskierten Piraten auf der Leinwand. Sie sind Somalier und sitzen in Kenia im Gefängnis, in der Höhle des Zackenbarsches. Dazwischen das Meer, eine weiße, leicht flatternde Bodenplane und ein Mastkorb. Daneben, dazwischen, wir, das Publikum. Wie sollen wir einander erreichen?
Zu Beginn hören wir das Meer leise rauschen, aber auch die Flughafendurchsagen der Recherchereise, dingdong. Übers Meer fährt manchmal das Boot mit den Kindern, es rollt. Ein Mastkorb inmitten des Meeres wird erklettert, später entsteigt eine schwarzgekleidete Person. Säcke mit Goldstücken werden abgeworfen. Am Meeresrand steht Mohamad Agane Farah, der Übersetzer, der NGO-Leiter (somalisch-kenianische NGO Hornlink Development), und übersetzt, moderiert, berichtet und beantwortet nach Spielende Fragen. Die Leinwand-Piraten hier sind die echten. Sie heißen Ali, Jarhad, Hassan und sind Schwarzafrikaner. Sind sie echt? Sie beantworten die Fragen der Kinder, die diese, das Mikrofon in der Hand, stellen. Fragen so einfach, wie schwergewichtig. Wie entert man ein Containerschiff? Angst machen, in die Luft schießen. Habt Ihr jemanden getötet? Als ob es ein direkter Dialog wäre. Agane Farah, der Mittler, ist der Echtheitszeuge.
Es wird viel erzählt in dieser Performance, die Kinder und Agane sprechen in der Halle, die Piraten aus dem Off. Vom politischen Hintergrund der Schiffskaperungen am Horn von Afrika, in Somalia und den Geschäften Europas, vom Fischfang und vom Hunger, von Containerriesen und Waffenschmuggel, vom Meere Befahren und Meere Vergiften, von unterschiedlichen Verbrechen und von der Hühnerzucht neben dem Vorzeigeknast und den Interviews in einer stickigen Zelle, in Anwesenheit dreier mit MGs bewaffneter Wärter. Die Hamburger Kinder berichten von ihren Piratenbildern und -geschichten, von Frauen als Piraten, von T-shirts mit Totenköpfen, von Fußballfans und Filmidolen. Später erzählen sie selbst die gegenwärtige Piratengeschichte aus Sicht der Fischer von Puntland/Somalia, Rollenwechsel. Es war einmal … Sie fragen, warum sich die somalischen jungen Fischer nicht direkt an die EU wenden können. Und sie erfahren, dass es das „Parlez!“ nicht mehr gibt.
Doch es wird keineswegs nur erzählt. Es wird gespielt. Das Spiel mit Symbolen und Insignien der romantischen Seefahrt und Piraterie ist gerade so sparsam, dass es bei allem Ernst auch erheitert. Zuweilen wandert es auf einem schmalen Grad an der Grenze zur Albernheit, justiert sich dabei aber immer wieder neu. Am Ende hängt einer und man ertappt sich bei der bangen Frage, ob sich der Schauspieler wirklich nicht an der Gurgel verletzt.
Die unterschiedlichen Ebenen von Fiktion, Dokumentation/Realität und die Metaebenen, wie die Produktionsbedingungen und die damit einhergehenden unterschiedlichen Perspektiven, durchdringen einander. Wie ist Fiktion konstruiert, wie Realität? Die Fragen nach Recht und Gerechtigkeit, nach Gewalt, nach menschlicher Würde und politischer Verantwortung werden so immer wieder neu gestellt. Vielleicht sollte es besser „Parlons!“ heißen, denn das heißt, „Lasst uns reden“, „Parlez!“ dagegen eigentlich: „Sprechen Sie!“.
ES wird gesprochen, ES wird gespielt? Auf den Einzelnen kommt es nicht an, kein Schauspielertheater – das ist wesentlich für die geheimagentur. Und doch kommt es auf den Einzelnen an. Denn der Kontakt zwischen Hamburg und Somalia, eigentlich Kenia, kommt durch die Sieben-Menschen-Kette zustande, die dann aus acht Personen-Stationen besteht. Das ist so amüsant wie handfest, ein Spiel und ganz real. Und funktioniert hat es, weil seine Macher hartnäckig sind und an ihre Arbeit glauben – Forschungstheater mit und für Kinder. Glück hatten sie auch.
Weitere Spieltermine im FUNDUS THEATER entnehmen Sie bitte dem Kinder- und Jugendtheaterplan.
Text: Angela Dietz
Fotos: Ellen Coenders