Zeichnet den besseren Menschen aus, dass er sich über das Gesetz stellen darf, dass es Situationen gibt, in denen eine solche Grenzüberschreitung sogar notwendig wird – nicht um des eigenen Vorteils willen, vielmehr zum Fortbestand der Gemeinschaft? Eine angesichts der Korruptionskultur in Deutschland aktuelle Frage. Im Monsun Theater Altona hatte Dostojewskis „Schuld und Sühne“ nun allerdings ohne heutige Bezüge Premiere.
In seiner Bearbeitung von Raskolnikows Wandlung vom arroganten Bessermenschen zum besseren Menschen folgte Regisseur Hans-Peter Kurr ganz der Vorlage aus dem 19. Jahrhundert. Der russische Jurastudent Raskolnikow erschlägt im Off die Wucherin Aljona und deren Schwester mit einem Beil, im Innersten überzeugt, er selbst sei einer dieser außergewöhnlichen Menschen, die morden dürften, denen es anstehe, Verbrechen zu begehen. Aber ist er das wirklich? Hält er es aus, ein Verbrecher zu sein? Entspricht er seiner eigenen Vorstellung von Weltaufteilung, vom außergewöhnlichen und gewöhnlichen Menschen, vom Zerstörer, der die Welt weiterbringt, und der Masse Mensch, die eben diesem Zerstörer nichts als Material ist? Ist er Zerstörer oder zerstört er sich selbst? Der Zweifel über die eigene Beschaffenheit befällt als erstes den Körper. Raskolnikow beginnt zu leiden, weil er mit seiner Auseinandersetzung allein ist, unentdeckt, aber von seinem eigenen Gewissen überfallen – bis er in dem Untersuchungsrichter Petrowitsch einen Gegenspieler trifft, der seinen inneren Kampf, seine Wandlung befördern hilft, indem er den längst des Mordes Verdächtigen mit unausgesprochenen Anschuldigungen quält. Mord trifft auf Korruption.
In Kurrs teilweise etwas hölzerner Inszenierung gelingt es den beiden Schauspielern Joachim Liesert als Raskolnikow und Ludwig Richter als Petrowitsch immer dann durch ihre Präsenz und ausdrückliche Klarheit für eine angemessene Beklemmung zu sorgen, wenn sie auch auf der Bühne einander ausgeliefert sind, Text gegen Text steht, und die Figuren eine Nachvollziehbarkeit erfahren, die die moralische als auch die politische Dimension des Stoffes transparent macht. In diesen Momenten gewinnt die Inszenierung unversehens eben doch an Aktualität. Auch dass die Dirne Sonja (Katharina Herzberg von Rauch) noch immer weltverbesserisch christlich-religiös und bibelfest daherkommt, schafft aktuelle Beklemmung; eben weil in Kurrs Inszenierung Religion noch immer Heil verspricht. Alles wird gut? Nichts wird gut. Der Mensch gerät allemal nur von einer Verstrickung in die nächste.
Hans-Peter Kurrs Bühnenbearbeitung von Dostojewskis Roman „Schuld und Sühne“ ist, weil sperrig und ohne viel komödiantische Aktion, anstrengend. Aber sie wirft Fragen auf. Und das steht dem Theater gut.
Text: Stephanie Schiller
Foto: Tobias Gloger