Highlight / Kritik / Schauspiel

Be(d)rückende Einzelleistung

„Wunschkonzert“, Deutsches Schauspielhaus (Rangfoyer)
Wunschkonzert

Schmalzbrot und Blumenstrauß – so verbringt die Frau (Heidi Kriegeskotte) ihre Abende.

Eine Frau kommt nach Hause. Sie schaltet das Licht ein, stellt ihre Einkaufstasche ab, hängt ihren Mantel säuberlich an den Haken und räumt den Kühlschrank ein. Sie durchblättert einige Journale, kocht Tee, deckt den Tisch und schmiert sich ein Schmalzbrot. Hier – nach 45-minütigem stummen Spiel – sagt die Frau ihre ersten, ihre einzigen Worte: „Schmeckt gut.“

Geradezu beklemmend verkörpert Schauspielerin Heidi Kriegeskotte die weibliche Figur in Franz Xaver Kroetz’ Monodram „Wunschkonzert“ im Rangfoyer des Schauspielhauses. Deren alltägliche Verrichtungen im Haushalt (und wohl nicht nur dort) haben sich durch jahrzehntelange Gewohnheit zur zwanghaften Pedanterie gesteigert. Jedes Ding hat im 70er-Jahre-Interieur dieser tristen Wohnstube (Bühne: Iris Holstein) seinen angestammten Platz. Jede noch so kleine Falte im Tischtuch wird sorgsam glatt gestrichen, jeder noch so winzige Fleck am Kühlschrank akribisch weggerubbelt.

Regisseurin Christine Gerstner inszeniert das alles sehr natürlich und ohne Übertreibung. So hat man weniger das Gefühl, im Theater zu sein, als durch ein verborgenes Loch in der Wand einer in die Jahre gekommenen Frau bei ihren allabendlichen Verrichtungen zuzusehen. Ein Voyeurismus, der den Blick allerdings umgehend auf den Betrachter zurückspiegelt: Ist das nicht das Leben, das uns allen blüht, sobald wir – aus welchen Gründen auch immer – aus der Gemeinschaft ausgeschlossen sind?

Zuweilen möchte man lachen, weil die Mechanik übertriebener Ordnungsliebe durchaus komische Seiten hat. Doch dann sind da diese Momente, die das selbstverständliche häusliche Ritual – zu dem auch das Anhören des „Wunschkonzerts“ im Radio gehört – durchbrechen: ein bewegungsloser Blick in den Spiegel, der ein wenig zu lang anhält, das plötzliche Stocken während der Handarbeit, die in sich gekehrte geistige Abwesenheit beim Essen. Spätestens als die Frau beim Zusammenfalten der Tischdecke wie von einer inneren Hemmung überrascht innehält, das Tuch fallen lässt und sich bäuchlings auf das Bett wirft, weiß man, dass die Ordnung im Leben dieser Person nur eine äußerliche ist und diese Geschichte, die keine ist, weil wir über diese Frau nichts erfahren, außer wie sie ihre einsamen Abende verbringt, wohl böse enden wird.

Dass man diese vordergründig unspektakuläre Handlung 90 Minuten lang mit wachem Geist verfolgt, liegt nicht zuletzt an der großartigen Darstellung von Heidi Kriegeskotte, der es gelingt, ihrer Figur – nahezu ohne Worte – eine Seelentiefe zu verleihen, die völlig inhaltsleer bleibt und gerade dadurch berührt. Die Leere der Einsamkeit ist hier kein individuelles Unglück, sondern eine existenzielle Gratwanderung, bei der man nur allzu leicht ausrutschen kann. Das zeigt Christine Gerstners erste Inszenierung am Schauspielhaus mit intimer Eindringlichkeit.

Text: Sören Ingwersen
Foto: Lea Fischer

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