Draußen macht ein erstes Frühlingslüftchen die Passanten kribbelig, drinnen hocken junge Leute schier apathisch auf schicken Sofas. Nichts schmückt die kahlen Betonwände, im Hintergrund nur glimmt die Akropolis in der Abenddämmerung durch die Jalousien. Ab und an donnert’s. Oder kracht’s. Jedenfalls ein lauter Schlag nach dem anderen, jedesmal zucken alle schreckhaft zusammen. So geht’s ein Weilchen.
Ja, ja: Griechenland ist bankrott und die Jeunesse dorée sitzt matt auf der Ledergarnitur. Und ist superbrav. Da wird aufgestanden, wenn eine Respektsperson spricht – auch wenn nur via Telefon. Und da knackt es eben im Gebälk. Vorboten des Zusammenbruchs lärmen wie Faustschläge ans eherne Tor. – Oder doch eher einfach die Natur, die Einlass begehrt? Wachstumsgeräusche? Monsterknospen, die ihre Hüllen sprengen? Schließlich kommt alles in Bewegung, kommen alle in Bewegung. Das Wohnzimmer verflüchtigt sich quasi, sein Podest wird Spielfläche für einen irrwitzigen Frühlingsnachtstraum – das Podest wird Wald und Elfenherberge und Bühne auf der Bühne und … Shakespeares wahnwitziger Reigen findet in Ralph Zegers Bühnenraum ein hervorragendes Ambiente – bestrahlt von Susanne Ressins soghaften Lichtkompositionen zwischen grellen Spots, tief geheimnisvollem Schummer oder romantisch besternendem Glühbirnenhimmel.
Wer Shakespeares Liebestaumelstück zuvor nicht kennt, hat vielleicht in Samuel Weiss’ Inszenierung Mühe, den Personen und ihren Doppelgängern und doppelten Abziehbildern immer genau zu folgen. Dem Spaß um die beiden Paare, die lange nicht zueinander finden können, dürfte das keinen Abbruch tun. Die 6.-Semester-Schüler der Theaterakademie werfen sich rauschhaft adäquat in ihre Rollen. So ist Justus Ritter als spielwütiger Zettel ebenso überschäumend und wenig zu bremsen wie später als dauerrammelnder Esel zwischen Titanias Schenkeln – bis aus dieser (Katharina Lütten) der auch anderwärts gern zitierte Song „Love hurts“ hervorbricht. Überhaupt wird gern mal gesungen oder gesäuselt. Schon frühzeitig gibt Helena (köstlich grätig: Anne Wiese) mit „Die Liebe ist ein seltsames Spiel …“ den Gesamtduktus des Abends vor: Liebesgewühl.
Da werden Geister wach, von denen im braven Wohnzimmer nichts zu ahnen war. Und doch scheinen sie sich fulminant aus der Spur Natur zu entwickeln, die der zerzauste Gummibaum in der Zimmerecke in sich birgt – und an dessen Substrat Helena wie an Bonbons ausdauernd lutscht. Puck bringt, wie sich’s für den obersten Diener des Geisterchefs Oberon (Christoph Türkay) gehört, alles schön durcheinander. Gern schaut man zu, wie Julia Riedler umherflippt und Funken aus Pucks zur Trägheit neigendem Nihilismus schlägt.
Vielleicht hat die Abendgesellschaft auch schlicht zu viel gekifft und versinkt so im (alb-)traumhaften Durcheinandergehetze, -geschlage und -gefummel. So wie Oberon und Puck sich erstmal eine Tüte reingezogen haben, um dann etwas wirr in die Nacht zu gleiten.
Auf jeden Fall mehren sich die Zeichen, dass die von Shakespeare angelegte Flucht der Liebenden in den Wald hier nur Kopfgeburt ist. Die Gesellschaft verlässt letztlich ihr Wohnzimmer nur in der Fantasie und kämpft noch in den absurdesten Szenen mit dem eigenen Dasein als behütete Kinder. Augenfällig, wenn die Elfen aus den Bodenbrettern drängen und wie eine Art Teletubbies (Kostüme: Hannah Petersen) maulfurzend umherspringen. Da entpuppen sich Träume aus dem Abgrund schon mal als essentiell von Erfahrungen aus dem Kinderfernsehen gesteuert. Und um Ausdruck für ihre frisch erblühte Liebe zu Helena zu finden, bedienen sich Demetrius (Julius Feldmeier) und Lysander (Ian McMillan) bei der Popkultur und winseln vom „Wicked Game“, dem „verfluchten Spiel“, das ihnen die Liebe oktroyiert. Klar, dass die beiden dann mit Latten aus dem Bühnenpodest nicht aufeinander einschlagen, sondern nur lärmend umherrennen. Und dazu passt auch, dass beide sich an einem armen Plüschteddy vergehen, als der Liebestrank ihre Augen netzt – statt den lebenden Partner flachzulegen.
Was allen bleibt, ist ein wirrer Traum, der im Klamaukhaufen der Handwerker sein fiebriges Echo findet. Die Liebenden werden noch einmal zu den geschlechtertauschenden Trugbildern, den Arbeitern, die nach schließlich erfolgter Hochzeit der Paare ihr wirres Liebesdramolett auf die Bretter dilettieren. Theseus reicht’s, er will endlich zwischen die Laken. Und Puck tönt, bevor er das Licht abdreht: „Klatscht erst Beifall unserm Stück! Dann bringt Puck euch nichts als Glück!“ Gesagt, getan, erhalten.
Text: Oliver Törner
Foto: Lea Fischer