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Die Revolution findet nicht statt

„Dantons Tod“, Thalia Theater
Dantons Tod

Zerstückelt: Stückname wie Inszenierung zerfallen in willkürliche, missverständliche Teile.

Das die Bühne beherrschende Bauwerk von Florian Lösche ist ein großartiges Kunstwerk – und die Bühnenarbeiter sind raffinierte, ungemein schnelle Bediener der (bühnen-)himmelhohen begehbaren Skulptur. Die bis auf ein Skelett entblößte, drehbar gelagerte Kugel besteht aus einer horizontalen Scheibe auf Äquatorialebene, geviertelt durch zwei einander senkrecht schneidende Scheiben, die ebenfalls den ganzen Kugeldurchmesser nachzeichnen. Sie ist eine Mischung aus Globus und Mahlstein, aus weiter Welt mit engen Zellen – Minibühnen an deren Schnittstellen immer wieder das Kreuz, DAS Symbol des Abendlandes hervorprallt, ein geschälter Reichsapfel. Vor und auf diesem Weltgebirge, von Paulus Vogts Licht meist in mondhelle Schlagschatten gehüllt, zerlegt Regisseurin Jette Steckel Georg Büchners Revolutionsdrama „Dantons Tod“.

Jörg Pohl als Danton und Daniel Lommatzsch als Robespierre beherrschen Stück wie Inszenierung. Sie geben den Rhythmus vor. Sie steigern sich als Popstars der Revolution in einen Wettstreit am Schlagzeug, jeder will den Ton angeben. Einer der vielen bestechenden Momente des Abends, die aber alle für sich einzeln zu stehen scheinen. Die Revolution hier findet nicht wirklich statt, denn viel Schreien und Lärmen machen noch keinen Umsturz. Nicht im Leben, nicht auf der Bühne. Die Summe der einzelnen Momente erzeugt kein Gefühl fürs große Ganze.

Es ist, als ob jemand Jette Steckel das Stück aufgezwungen hätte. Denn vor allem arbeitet sie an Büchners Vorlage heraus, dass sie die Diskurse der Altvorderen 1794 angesichts der französischen Revolution nicht recht zu interessieren scheinen. Immer wieder geht der Text im Lärmen unter, Männer wie Frauen schreien sich heiser. Hier ist der Tahirplatz weit weg, aber Mirco Kreibich als Camille darf in schneidend hellem Licht über die verlogene Arithmetik des Welthungers dozieren – und dabei die Frage anhängen, ob mit derlei Information im Theater Wirkung zu erzielen sei.

Klarer jene Sequenzen, in denen der 22-jährige Autor Büchner sich über Wesen und Dasein des Menschen Gedanken machte, über seine Marionettenhaftigkeit und sein Geworfensein ins Schicksal. Wunderbar etwa die Szene, in der Jörg Pohl als Danton in schräger Gestalt durch die Umgebung schlurft und sich über die grässliche Langeweile des Alltags echauffiert. Und klarer auch Momente, wie bei der großen Rede der routiniert treffsicheren Karin Neuhäuser als St. Just. Der wahre Strippenzieher im Geschehen darf hier eindringlich und deutlich zu Worte kommen. – Ein Mehr an derart deutlichen Momenten hätte man sich gewünscht, um mehr Raum zur Eroberung des Textgebirges zu haben. Zum Schluss werden Danton und seine drei Kameraden an den Händen aufgeknüpft, statt an ein Schaffott geführt zu werden. Eine eigenwillige Übersetzung der Hinrichtung. Ein scharfes Bild. Eins der vielen Bilder mit denen die Inszenierung gleichsam das ganze Stück guillotiniert. Der Corpus bleibt auf der Bühne, der Kopf ist hinter die Rampe gerollt.

Text: Oliver Törner
Foto: Cover des Thalia-Programmhefts

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