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Wer hat Angst vor Virginia Woolf?

Polittbüro
Wer hat Angst vor Virginia Woolf?

Starkes Quartett der Demütigungen: Lisa Politt, Oliver Törner, Tommaso Cacciapuoti und Jantje Billker

Text: Sören Ingwersen | Foto: Polittbüro

Selbst ein gewiefter Paartherapeut würde hier wohl kapitulieren. George und Martha sind seit zwanzig Jahren verheiratet. Der Ehefrust ist groß. Noch größer die Lust, dem anderen wehzutun. 1966 fetzten sich Elizabeth Taylor und Richard Burton – auch im echten Leben verheiratet – in Edward Albees Vier-Personen-Drama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ vor der Kamera und schrieben damit Filmgeschichte. Jetzt hat Erik Schäffler – er mimt den Teufel im „Hamburger Jedermann“ – den Klassiker gediegener Selbstzerfleischung im Polittbüro inszeniert. Ein Wagnis, denn die Kleinkunstbühne am Steindamm ist eigentlich auf Kabarett spezialisiert.

Aber so zermürbend die Thematik des Stücks auch ist – der Witz kommt ebenfalls nicht zu kurz in den verbalen Schlammschlachten zwischen Martha und George. In dieser Nacht sind Nick und Honey zu Besuch, ein junges Paar, das in die Schusslinie des älteren gerät und sich – vom Alkohol enthemmt – mehr und mehr an den infamen Spielchen seiner Gastgeber beteiligt. In der Rolle der kratzbürstigen Tochter eines Universitäts-Dekans, die für ihren Mann nichts als Verachtung übrig hat, blüht die spitzzüngige Kabarettistin Lisa Politt geradezu auf. Die zynischen Attacken auf ihren Mann George, den sie in Bett und Beruf einen Versager schimpft, scheinen geradezu körperlich auf ihren Gatten einzuwirken. Oliver Törner spielt einen erschöpften, resignierenden George, der von seiner dominanten, alkoholsüchtigen Frau aber immer wieder aus der Reserve gelockt wird. Dann greift der alternde Geschichtsprofessor zu seiner einzigen Waffe: dem Erzählen von Geschichten. Lügengeschichten, die wie eine ätzende Flüssigkeit an den seelischen Wunden seiner Gattin fressen.

Können sich Nick und Honey dem ehelichen Kreuzfeuer anfangs noch entziehen, wird auch die Wahrhaftigkeit ihrer jungen Verbindung im Laufe des Abends empfindlich auf die Probe gestellt. Mustergültig verkörpert Tommasco Cacciapuoti den karriereorientierten Biologieprofessor, dessen blitzblanke bürgerliche Fassade von den durchtriebenen Angriffen und Verführungen der Gastgeber besorgniserregend zu bröckeln beginnt. Jantje Billker stattet ihre Honey indes mit einem so begrenzten intellektuellen Horizont aus, dass sie die Lacher ganz auf ihrer Seite hat, am Ende aber auch – mehrere Kotzanfälle hinter sich und im Suff fantasierend – für aufrichtiges Mitleid sorgt.

Mit einem einzigen Schauplatz – ein modern eingerichtetes Wohnzimmer mit gut bestückter Hausbar – kommt dieses zweistündige Kammerspiel den bühnentechnisch begrenzten Möglichkeiten des Hauses entgegen. Aber auch die vier Darsteller scheinen sich in ihren Rollen pudelwohl zu fühlen und wachsen unter der Regie von Schäffler zu glaubwürdig gezeichneten Charakteren heran. Der wohl stärkste Moment des Stücks ist das Ende, als zwischen Martha und George zum ersten Mal ein Gefühl der Zuneigung aufflackert und Martha sich verletzlich zeigt. Von solchen Momenten hätte man sich mehrere gewünscht.

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