Kritik / Schauspiel

Kleine Bühne – große Nähe

„Vom Schlachten des gemästeten Lammes und vom Aufrüsten der Aufrechten“ und „Tears in Heaven“
Gesine Hohmann

Gesine Hohmann

Die Fleet­street hat die Gruppe vorschlag:hammer, die Gewin­ner des Körber­fes­ti­vals 2010, noch einmal für ein Wochen­ende nach Hamburg holen können: mit ihrem Preis­trä­ger­stück „Vom Schlach­ten des gemäs­te­ten Lammes und vom Aufrüs­ten der Aufrech­ten” und mit ihrer neuen Produk­tion „Tears in Heaven”.

Im ersten Stück beginnt alles wie eine impro­vi­sierte Home-Diashow. John und Bjar­tur zeigen sich gegen­sei­tig Fotos aus ihrer Heimat. Der eine stammt aus der Provinz in den USA und der andere aus einem Dorf in Island. Der eine würde gerne Hühner züch­ten, und der andere ist Schaf­bauer. Wie beide auf ihre ganz gegen­sätz­li­che Art mit den Nacken­schlä­gen des Lebens umge­hen, zeigt die Arbeit von Kris­to­fer Gudmund­s­son. Mit den weni­gen Holz­lat­ten auf der Bühne und den beiden Darstel­lern entste­hen immer wieder neue Bilder­wel­ten auf der kahlen Bühne. Es werden Hütten gebaut, Barri­ka­den errich­tet, Wälle gezo­gen und Verfol­gungs­jag­den inszeniert.

Beide sind keine sympa­thi­schen Zeit­ge­nos­sen. Die beiden Darstel­ler Gesine Hohmann und Stephan Stock schaf­fen es jedoch, Verständ­nis für ihre Lebens­kon­zepte zu erzeu­gen. Quick­le­ben­di­ges, hinter­grün­di­ges Thea­ter, das mit seinen kühnen Verknüp­fun­gen provo­ziert und anregt. –

„We have to say good­bye.” Mit großer Film­mu­sik beginnt „Tears in Heaven”. Kris Kelvin star­tet zu einer Mission ins Welt­all. Sanft ist die Landung auf Sola­ris, doch was ihm hier begeg­net, lässt ihn an seinem Verstand zwei­feln. Er trifft seine Frau Harey wieder, die vor zehn Jahren Selbst­mord beging. Ihre erste Reinkar­na­tion versucht er noch mit einer Rakete fort­zu­schi­cken. Erst mit „Harey 2” fügt er sich ins Unver­meid­li­che; denn auf Sola­ris begeg­net jeder seinem Gast der Vergangenheit.

Vorschlag:hammer stellt in ihrer neuen Arbeit die Begeg­nung mit dem Frem­den in den Mittel­punkt. Sie suchte Paral­le­len. Was für Kelvin die fremde Mate­rie auf Sola­ris ist, mag heute die Perso­ni­fi­zie­rung des Frem­den als Schwar­zer sein. Mit Geschich­ten, die gut gepflegte Klischee­bil­der über Afrika aufgrei­fen, versu­chen sie das Fremde auf der heuti­gen Erde zu thematisieren.

Durch­sich­tige Plas­tik­käs­ten werden zu Mauern, zu bestrahl­ba­rer Masse oder sehr effekt­voll zum Aufbe­wah­rungs­ort der gut versteck­ten Unbe­kann­ten, die plötz­lich unter hellem Schein­wer­fer­ge­gen­licht aus einem der Kästen klet­tert und davor warnt, sich mit ihr zu beschäftigen.

Zum Schluss ließ noch eine schöne Light­show mit Laser­lich­tern auf Disko­ku­geln kleinste Elemente auf der schwar­zen Bühne zerfal­len und sich wieder verei­ni­gen – ein wunder­ba­res Bild für das Entste­hen und Verge­hen von Plane­ten und Menschen.

Wer den Roman von Stanis­law Lem kennt, war klar im Vorteil, doch auch die übri­gen hatten erkennt­nis­rei­che Freude am Sortie­ren der einzel­nen Etap­pen von Kris und Harry. Das vorschlag:hammer-Wochenende zeigte anre­gungs­rei­ches Thea­ter, das genü­gend Anlass für lange Gesprä­che vor der Tür der inti­men Fleet­street zwischen Akteu­ren und Zuschau­ern bot.

Text: Birgit Schmalmack
Foto: Yannick Fauth

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