Text: Adrian Anton / Foto: Knut Klaßen
Das umtriebige Kollektiv rund um Gintersdorfer/Klaßen, das zuletzt mit „Not Punk, Pololo“ oder 2010 mit „Rue Princess“ auf Kampnagel zu erleben war, hat auch für „Exorzieren statt Exerzieren“ wieder ein internationales Team beeindruckender Performer zusammengebracht: Cécilia Bengolea (wie immer großartig in ihrer Heftigkeit), Alexander Cephus, Gotta Depri, Hauke Heumann, Peter Ott, Eric Parfait Francis Taregue alias S Kelly, Margarita Tsomou sowie Franck Edmond Yao alias Gadoukou la Star.
Der Abend setzt sich aus Solo- und Gruppen-Performances zusammen, die Schlaglichter auf „die vernichtende Kraft der Moderne“ werfen: Modern Dance, Body Politics und Post-Colonialism sind die verbindenden Themen, mit denen sich die Performer aus unterschiedlichen Perspektiven auseinandersetzen – mal rational-analytisch, mal mystizistisch. Strategie und Ziel: „Magie und Tradition werden nicht zum idealen Gegenpol, sondern wir stellen das Festschreiben der Gegensätze in Frage.“
Die angewandten Methoden reichen von der reinigenden Kraft von Zitronen bis zu Einläufen mit Chili-Schoten. Und der befreienden Kraft des Tanzes: Afrikanische Traditionen treffen auf Ikonen des Modern Dance wie Yvonne Rainers „Trio A“, hinreißend von Nicht-Tänzer Hauke Heumann interpretiert. Das passiert manchmal virtuos-chaotisch und mit Bildern von großer Ambiguität, manchmal wenig subtil, wenn zum Beispiel die Aussage „Ich leide unter dem Gewicht der Moderne“ von Sandsäcken auf der Schulter illustriert wird. Sandsäcke müssen auch herhalten, wenn Margarita Tsomou davon berichtet, wie die Griechenland-Krise sie plötzlich dazu gebracht hat, sich einen möglichst authentischen griechischen Akzent anzueignen und die Last der Identität zu spüren war. Die Befreiungsmöglichkeiten durch Tanz verdeutlichen Alex Cephus, Gotta Depri und S Kelly, wenn sie Modern Dance mit afrikanischen Tänzen konfrontieren. Gadoukou la Star hingegen berichtet von seiner Befreiung aus alten Traditionen, als seine kleine Schwester den Göttern geopfert werden soll. Auch die Argentinierin Cécilia Bengolea propagiert Tanz als Befreiung, wenn sie zeigt, das Twerking ursprünglich nicht sexualisiert war, sondern eine radikale Form für Frauen, sich von Menstruationsbeschwerden oder ungewollter Schwangerschaft zu befreien.
„Exorzieren statt Exerzieren“ ist keine post-moderne Analyse oder Dekonstruktion, sondern eine Einladung zum Perspektivwechsel – im wörtlichen Sinn: Die Zuschauer werden während der Performance eingeladen, von der Tribüne auf ein kleines Podium am Rand der Bühne zu wechseln, um einen neuen Blickwinkel zu finden. Einige Zuschauer nutzen diese Möglichkeit allerdings, um das Schauspiel frühzeitig zu verlassen – aber das ist ja meist ein Zeichen dafür, dass ein Stück es aus der Beliebigkeit der Unterhaltung heraus geschafft hat zu polarisieren, was sehr viel mehr ist als das, was Theater sich sonst oft traut – oder eben nicht traut.
Weitere Vorstellungen: 21. und 22.10., Kampnagel, Jarrestr. 20