Text: Christian Hanke / Foto: Matthias Horn
Karin Beier hat mit ihrer Inszenierung „Schiff der Träume“ am Deutschen Schauspielhaus eine aufrichtige und unterhaltsame Arbeit zur derzeit alles dominierenden Flüchtlingsproblematik abgeliefert – sehr geschickt und überraschend angepackt. Egozentrische, mit sich hadernde Kulturschaffende aus Westeuropa treffen auf fröhliche selbstbewusste Afrikaner.
Ein Luxusliner ist unterwegs im Mittelmeer mit den Mitgliedern eines Orchesters, die die Asche ihres verstorbenen Leiters in den Fluten verstreuen wollen, so sein letzter Wille. Im ersten Teil von Beiers Inszenierung nach einem Film von Federico Fellini aus dem Jahre 1983, der 1914 spielt und serbische Flüchtlinge auf diese mondäne Gesellschaft treffen lässt, wird die selbstgefällige Künstlercrew in Realität und Traum sehr humorvoll seziert. Streit um die eigene Bedeutung, Suff, Sex und Tablettensucht regieren das Handeln und die Träume der Musikerinnen und Musiker. Aber politisch korrekt intonieren sie zur Urnenbestattung ihres Leiters dessen letztes Werk „Human Rights Nr. 4“. Das starke Ensemble mit Charly Hübner, Bettina Stucky, Julia Wieninger, Josef Ostendorf, Lina Beckmann, Jan-Peter Kampwirth, Yorck Dippe, Michael Wittenborn, Josefine Isarel und Rosemary Hardy entwirft nuanciert, überzeugend und höchst unterhaltsam ein klägliches Bild von westlicher Hochkultur. Das allein wäre bereits ein Stück für sich, eine Komödie mit Anspruch.
Doch kurz vor der Pause gehen junge Afrikaner unvermittelt über die Bühne und leiten den zweiten Teil ein, in dem ein ganz neues Stück gespielt wird: 63 afrikanische Flüchtlinge hat der Luxusliner aufgenommen. Fünf von ihnen wagen sich aufs Oberdeck und geben nun den Ton vor. Jetzt beginnt ein überraschender Clash der Kulturen. Die Aufgenommenen bitten nicht unterwürfig um Hilfe oder schwärmen von Europa als heiligem Land. Sie strotzen vor Selbstvertrauen und Gesundheit, bekunden, dass sie den armen Europäern helfen wollen. Die wären so oft depressiv und halten sich nur mit Aufputschmitteln am Leben, hätten sie gehört. Sie erläutern uns Europa aus ihrer Sicht, berichten von Afrika und ihren Lebenswerten.
Die Orchestermitglieder reagieren irritiert, heißen die neuen Gäste willkommen, wollen helfen, zeigen aber offen oder versteckt angstvolle Distanz gegenüber den Neuankömmlingen. „Wir wollten eigentlich unter uns bleiben. Wir haben auch alles bezahlt“, bringt der ältere Klarinettist (Michael Wittenborn) das Anliegen des Orchesters vorsichtig auf den Punkt. Helfen eigentlich ja, aber lieber unter sich bleiben, im vertrauten europäischen Wohlleben, auch wenn man darunter leidet.
Karin Beier zeigt in ihrer Version von Fellinis „Schiff der Träume“, gemeinsam erarbeitet mit Stefanie Carp und Christian Tschirner, mit sicherer Hand die Konfliktlinien zwischen Europäern und Afrikanern auf, weist aber auch unterhaltsam in die Zukunft einer von Flüchtlingen bestimmten Welt, auch wenn die afrikanischen Flüchtlinge am Ende wieder gehen müssen, abtransportiert auf einem isländischen Patrouillenboot.
Nächste Vorstellungen: 24.1., 4., 18 Uhr und 8.2., 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus