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Im Ausnahmezustand

Hamburger Sprechwerk
Im Ausnahmezustand

Vermeintliche Familienidylle: der Mann (Tom Pidde), die Frau (Catharina Fleckenstein), das Kind (Ines Nieri)

Text: Christian Hanke / Foto: Stefan Malzkorn

In der perfekten Wohnanlage: Der Mann schneidet akribisch den abgezirkelten Buchsbaumbusch, die Frau sitzt entspannt auf dem Sofa, das Kind ist gänzlich von Kommunikationselektronik eingenommen. Lässig, freundlich und langsam bewegt sich die Frau auf den Mann zu, schildert ihm im lockeren Plauderton eine Situation, die sie als äußerst bedrohlich empfindet.

Wir erfahren in Falk Richters „Im Ausnahmezustand“, dass die Kleinfamilie in einer Siedlung für Auserwählte wohnt, die durch einen Zaun hermetisch von der Außenwelt abgeschottet ist, in der Kampf und Gewalt vorherrschen. In der Siedlung dagegen ist für viele Annehmlichkeiten und vor allem für Sicherheit gesorgt. Doch der Mann gefährdet diese Sicherheit durch nachlassende Arbeitsleistung. Die Frau ist in Panik, denn wer seinen Job verliert, fliegt aus der Siedlung. Auch das Kind hat sich zu einer Gefährderin von Sicherheit und Wohlstand entwickelt: Es fühlt sich eingeschlossen in der Mustersiedlung und sympathisiert mit Jugendlichen, die den Ausbruch versuchen und dabei oft zu Tode kommen. Damit die Siedlungsbewohner die Schüsse am Grenzzaun nicht hören, wird Meeresrauschen eingespielt. Für die Frau, die in ihrer Paranoia unter dem Bett der Tochter horcht, was diese plant, lautet das oberste Gebot: „Der Zaun muss fest verschlossen bleiben!“

Falk Richters Stück aus dem Jahre 2007, das im Hamburger Sprechwerk in der sehenswerten Reihe „Wortgefechte“ gezeigt wird, bringt heutige Ängste und Befindlichkeiten auf den Punkt: Abstiegsängste der Mittelschicht und die Furcht vor denen, die von draußen rein wollen in die Wohlstandsoase.

Catharina Fleckenstein spielt die von diesen Ängsten beherrschte Frau ebenso überzeugend wie Tom Pidde deren sich Sicherheit einredenden, in öder Routine Zuflucht suchenden Mann. Für einen starken Auftritt sorgt Ines Nieri als das nach Freiheit lechzende, sich gegen die Eltern auflehnende Kind. Friederike Barthel hat’s behutsam mit gutem Timing inszeniert.

Weitere Aufführungen: 5. und 13.2., 20 Uhr, Hamburger Sprechwerk

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