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Hinter der Mauer ist das Glück

Theater Kontraste im Winterhuder Fährhaus
Hinter der Mauer ist das Glück - Theater Kontraste - Komödie Winterhuder Fährhaus

Deutsche Idylle ade: Frau Ting (Yvonne Yung Hee Borgmann) lässs’s krachen

Text: Christian Hanke / Foto: Oliver Fantitsch

So könnte eine deutsche Familie in nicht allzu ferner Zukunft aussehen: Gegessen und getrunken wird nur Bio aus der Region; Plastik und Technik sind als Teufelszeug gebrandmarkt; die Kinder sind artig und schlafen viel. Und vor allem: Man bleibt als Deutsche unter sich und reist nicht mehr in andere Länder. Denn die Deutschen haben in Benjamin Lauterbachs Stück „Hinter der Mauer ist das Glück“ wieder eine Mauer gebaut. Sie haben sich abgeschottet von allen Nicht-Deutschen und leben ein streng geregeltes Leben, bestehend aus Gesundheit und Deutschtümelei. Nationalismus und Ökologie sind eine schaurige Allianz eingegangen. Murat Yeginer, der hier vor einem Jahr bereits zum selben Thema das Stück „Wir sind keine Barbaren“ inszenierte, lässt die deutsche Musterfamilie um einen großen Holztisch herum spielen, in dessen Innerem sich Räume befinden. Dort fertigt der Familienvater, ein Erfinder, einen mysteriösen „Teiler“ an, dessen Bedeutung im Dunkeln bleibt.

Hier wird auch „der Chinese“ ein Zimmer beziehen, den die Familie sehnsüchtig erwartet, ein Gast aus Fernost, der mit Erlaubnis der Regierung das Leben einer deutschen Familie studieren soll, damit die Chinesen auch endlich glücklich und zufrieden leben können. Denn die Chinesen sind arm, erklärt der Vater seinen Kindern. Doch schon die erste Begegnung mit dem Gast lässt die Musterfamilie zur Salzsäule erstarren: Der Chinese ist eine Chinesin. Frau Ting hat Spielzeug für die Kinder und einen vollautomatischen Staubsauger für die Hausfrau mitgebracht, in den Augen der Gastgeber Teufelszeug. Noch bleibt man höflich, doch der Besuch der Chinesin hat Folgen. Die Kinder sind begeistert von dem chinesischen Spielzeug und stellen die Erziehung ihrer Eltern zunehmend in Frage. Die neudeutsche Idylle bröckelt. Schock auch, als die in schrilles Pink gewandete Frau Ting zur Begrüßung Pop-Rhythmen ins Mikro haucht. Die Kinder machen freudig mit. Für die Eltern wird zunehmend klar: Dieser Gast aus einer anderen, noch ganz auf technischen Fortschritt und Völkerverständigung ausgerichteten Welt muss weg.

In Yeginers kluger Inszenierung eines mittlerweile vorstellbaren Horrorszenarios – Pegida lässt grüßen – glänzt insbesondere Rabea Lübbe als rabiate deutsche Mutter neben Konstantin Graudus, Dominik Bliefert und Meike Anna Stock, die problemlos in die Rollen der Kinder schlüpfen, sowie Yvonne Yung Hee Borgmann als Chinesin.

Aufführungen bis 26.10., Theater Kontraste

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