In der Pause gegangen / Kolumne

Platte Abbilder und glatter Schauspielsprech

„Zeitstillstand“, St. Pauli Theater

Fotos sind nicht das echte Leben. Aber sie können vielleicht Gefühle wecken. Theater bebildert Leben. Schlecht, wenn es dabei keine Gefühle zu wecken vermag. Donald Margulies‘ Stück „Zeitstillstand“ ist geschwätzig. Und ebenso Ulrich Wallers Inszenierung der deutschen Erstaufführung am 6. Dezember 2011 im St. Pauli Theater. Die Schauspieler schwatzen miteinander um die Wette – und lassen einen kalt. Dabei wird Großes verhandelt. Der Krieg. Und insbesondere sein fotografisches Abbild.

Leslie Malton begibt sich in die Rolle der Sarah Goodwin, der Kriegsfotografin. Eine hoch dotierte Krisengewinnlerin, die unübersehbar verwundet aus dem Einsatz zurückkehrt. „Ich bin hingefallen“, sagt sie nach einem Sturz von ihrer Krücke. Und meint eben nur das, den Sturz neben den Tisch. Kein Wort weist in dieser Inszenierung über sich hinaus. Hier wird nur bebildert, oberflächlich zweidimensional bebildert. Thomas Heinze als Goodwins Dauerfreund James Dodd ist dabei zunehmend unerträglich. Dabei gibt die Rolle vor, er sei psychisch schwerst beschädigt vorzeitig vom Kriegsschauplatz – irgendwo Richtung Afghanistan – zurückgekehrt. Ein aufgesetzter Zornesausbruch („da werd’ ich doch mal laut“), reißt’s nicht raus. Verstört geht anders – und ein paar Pillen schlucken, um Signale der Pein zu geben, ist denn doch etwas dünn. So riecht’s eher nach bravem Schwiegersohn.

Rudolf Kowalski als Richard Ehrlich kann einem fast ein bisschen leidtun. Er wurde offensichtlich vom Regisseur auf die boulevardeske Schiene geschoben und verhungert als gealterter Exfreund der Goodwin am langen Arm der Emotionsverweigerung. Er zappelt sich ab, spielt präzis, aber letztlich erfolglos, gegen die Enge des schönen Scheins an.

Ulrich Waller unternimmt keinen Versuch, das Stück über Kriegsjunkies, sensationsgeile Nachrichtenmacher und auf privater Ebene ganz normale, versagensangstgebeutelte Menschen aus der weißgetünchten Backsteinfassade eines Appartements in einer hippen amerikanischen Wohngegend herauszulösen. Mag sein, dass ihn der Plauderton des nur zu deutlich aus dem Amerikanischen übertragenen Textes („Wow!“, „Okay Honey!“) verleitet hat. Aber sollte es als besonders raffinierter Trick geplant gewesen sein, die platte Abbildebene nicht zu verlassen, so kann man nur sagen: er misslingt. Durchaus vorhandene intelligente Passagen gehen weitgehend unter. Und glatter Schauspielsprech macht echte Töne tot.

Einzig Rosalie Thomass als Mandy Bloom, die jugendliche Freundin des Midlife-Crisis-Redakteurs Richard Ehrlich, vermag Funken aus ihrer Rolle zu schlagen. Und das sehr, sehr passend, als sie schockiert über Sarahs neueste Kriegsfotos – von einem schwer verbrannten, sterbenden Kind – schließlich erst in Tränen ausbricht, als sie über Tiere spricht. Nämlich darüber, dass sie in einem Dokumentarfilm dem Verhungern eines Elefantenbabys zusehen musste.

Doch so wie die Dokumentarfilmer das Baby nicht gerettet haben, konnte Rosalie Thomass nicht den ganzen Abend auffangen. Gequält von fehlender Bein- und Armfreiheit im Parkett, herumwabernden Parfüm- und Haarspraywolken, aber vor allem gelangweilt vom ungebrochen platten Konversationston auf der Bühne angesichts der sich schon den ganzen Tag übertrumpfenden, aber – im Gegensatz zum Theatergeschehen – sehr lebendigen Nachrichten aus Afghanistan, bin ich lieber in der Pause gegangen.

 Text: Oliver Törner

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