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Eine runde Sache

„Unrund“, Forum der Hochschule für Musik und Theater
Orfeo ed Euridice

Hat Eurydike (Steinunn Skjenstad) ein Herz aus Stein? Sie wendet sich von Orpheus (Harald Maiers) ab.

Was tun, wenn die große Langeweile quält? Vielleicht Theater spielen. Das Sujet von Christoph Willibald Glucks Opern-Einakter „Le Cinesi“ stünde auch einem Autor des 20. Jahrhunderts gut zu Gesicht: Drei Frauen, Sivene (Katerina Fridland), Tangia (Julia Skripnik), Lisinga (Ulrike Scholz) und ihr Bruder Silango (Masanori Hatsuse), eingeschlossen in einem Raum ohne Außenwelt, wissen nichts mit sich anzufangen und führen drei Stücke im Stück auf: eine Tragödie, ein Schäferspiel und eine Komödie. Wer wird die anderen – insbesondere den Hahn im Korb – mit seiner Darbietung wohl am meisten beeindrucken?

Jungregisseur Stephan Krautwald hat sich keinen leichten Stoff ausgesucht zur Eröffnung des Programms „Unrund“ mit drei Barockopern im Forum der Hochschule für Musik und Theater. Zwar punktet das Ränkespiel um Kunst und Erotik mit manch lustigem Einfall – etwa, wenn Sivene die bukolische Szene mit ihren Schafskopfpuschen aufpeppt -, bleibt aber im Ganzen etwas farblos. Auch beim Gesang muss man Abstriche in Kauf nehmen, während das Orchester unter der Leitung von Felix Pätzold mit emsigem Elan bei der Sache ist.

Gleiches gilt auch für Ádám Szvoren, der seine Musiker mit sensibler Klanggestaltung durch „Orfeo ed Euridice“ führt. Regisseurin Friederike Blum hat Glucks beliebte Oper als stimmiges Bewegungstheater inszeniert. Einziges Bühnenelement: ein schwebender Felsblock, der einen großen Schatten auf den Boden wirft – Sinnbild für den Schatten Eurydikes, die Orpheus aus dem Totenreich befreien und ins Leben zurückführen möchte. Mal zusammengekauert unter dem bedrohlichen Fels, dann wieder von unsichtbaren Kraftfeldern über die Bühne getrieben, gewährt der Chor in der Rolle der Furien dem Trauernden schließlich Zugang zu seiner Gemahlin. Orpheus, hier mit einem männlichen Sänger, dem Countertenor Harald Maiers stimmprächtig besetzt, und Eurydike (mit wohlig-warmem Sopran: Steinunn Skjenstad) sind die einzigen Gesangssolisten in dieser rund 60-minütigen Kurzfassung von Glucks Oper, die die starren Formen des Barocks erstmals radikal infrage stellte. Infrage stellte wohl auch der eine oder andere Besucher im Forum der Musikhochschule, ob es zulässig sei, ausgerechnet die beliebtesten Stücke – Orpheus Klagelied „Che faró senza Euridice?“ und den „Reigen seliger Geister“ zu streichen. Aber müssen Erwartungen immer bedient werden?

Auch Regisseur Benjamin van Bebber bricht in Henry Purcells „Dido und Aeneas“ mit Erwartungen, lässt sechs Sänger in wechselnden Besetzungen auf einer fast leeren Bühne auftreten und bettet die tragische Liebesgeschichte in gruppendynamisch-vitale Bewegungsabläufe mit durchaus komischen Brechungen. So lässt Sängerin Pauline Jacob die viel zu langen Ärmel ihres Strickpullovers durch die Luft kreisen, ohne dass ihr sauber geführter Stimmfluss im Mindesten darunter leidet. Ebenfalls in bester Verfassung: der Sopran von Lisa Schmalz sowie das sechsköpfige Barockensemble unter der Leitung von Aleksandra Laptas.

Ein ehrgeiziges Projekt, das die Regiestudenten des sechsten Semesters mit „Unrund“ auf die Bühne gebracht haben. Ein Projekt, das einen eigenständigen und eigenwilligen Umgang mit historischen Stoffen zeigt, ohne sich in Beliebigkeiten zu verfransen. Stimmig war hier vieles – nur der Titel nicht. Denn am Ende eines dreistündigen Abends ergab sich doch der Eindruck, dass dies eine ziemlich „runde“ Sache war.

Text: Sören Ingwersen
Foto: Horst Warneyer

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