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Emanzipation in Troja

„Kassandra“, Theater in der Washingtonallee
Kassandra

Kassandra (Angelika Landwehr) hat viel Schräglage zu meistern.

Das Ende hat sie kommen sehen, aber nicht verhindern können: Den Untergang ihrer Heimatstadt Troja. Denn Kassandra, Tochter des trojanischen Königs Priamos, war zwar von Apollon, unter anderem Gott der Künste und der Weissagung, mit der Sehergabe bedacht worden. Doch weil sie sich Apollons Liebe verweigert, straft der Gott sie mit einem Fluch: Niemand wird ihren Prophezeiungen glauben. So erklärt Homer in der Ilias, dem großen Werk über den Trojanischen Krieg, die Besonderheit der Kassandra, einer Außenseiterin in der von Männern beherrschten antiken Welt Trojas. Einer Frau, die sich damals üblichen Frauenrollen verweigert und sich für ihre Eigenständigkeit entscheidet. Für die Seherin interessierte sich Schriftstellerin Christa Wolf, die in ihrem Roman „Kassandra“ anhand der Geschichte der trojanischen Königstochter Bewusstseinswerdungen in der DDR beschrieb.

Nun hat sich Angelika Landwehr, die Intendantin des Theaters in der Washingtonallee, wiederum der Kassandra von Christa Wolf angenommen und diese eigenwillige Frauenfigur „dramatisiert, dirigiert und gespielt“. Und wie! Zwei Stunden schaut Kassandra (Angelika Landwehr) kurz vor ihrem Tod am Hof des griechischen Königs Agamemnon in Mykene auf ihr Leben mit all seinen Zwängen, Abhängigkeiten, Kämpfen und Gefühlen zurück. Mit großer Intensität bringt uns Angelika Landwehr diese Kassandra näher, in antiker Kulisse zwischen Menschen und Göttern, die ihr nahe standen, mit fliegendem Kleiderwechsel sowie wenigen, aber sich einprägenden Requisiten, einer großen Sanduhr zum Beispiel oder dem Herz von Hektor, das auf einer Waage mit Gold aufgewogen wird. Angelika Landwehr zeigt eine Frau, die sich emanzipiert, diszipliniert, verstellt, die um ihre Unabhängigkeit ringt und natürlich liebt. Mit Aeneas, dem einzigen Helden Trojas, der den Krieg überlebt, verbindet sie eine lebenslange Liebe. Ein eindrucksvoller Auftritt der Intendantin des kleinen Theaters an der Washingtonallee, die vieles selbst macht in ihren Produktionen. In „Kassandra“ sogar fast alles. Ist ihr gut bekommen.

Text: Christian Hanke
Foto: Anders Balari

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