Als Anno Domini 1893 im Hamburger Opernhaus die deutsche Erstaufführung von Puccinis Meisterwerk „Manon Lescaut“ stattfand, das von den hanseatischen Besuchern allerdings nicht goutiert und deshalb nach wenigen Vorstellungen abgesetzt wurde, rangen auch die Melodien seines Mitbewerbers Jules Massenet aus dessen Oper „Manon“ seit neun Jahren um die Gunst der Musikwelt.
Etwa 120 Jahre später zählt ersterer noch immer zu den VIPs der europäischen Komponistenrunde. Letzterer wird uns – in der Regel in Programmen wie denen von Klassikradio oder NDR-Kultur – durch die Einspielung seiner Zwischenaktmusik „Meditation“ aus Massenets bedeutendem, aber selten produzierten Werk „Thaïs“ nahegebracht.
Umso verdienstvoller, dass die mutige Gründerin und künstlerische Leiterin des Opernlofts, Inken Rahardt, nahezu zeitgleich mit Philipp Himmelmanns umstrittener Puccini-Inszenierung von „Manon Lescaut“ an der hiesigen Staatsoper aus Anlass des Jubiläums „333 Jahre Oper in Hamburg“ (GODOT berichtete über die Premiere) nicht nur „Manon“ in ihren Spielplan aufgenommen, sondern auch bereits verkündet hat, sie werde zu Beginn der Spielzeit 2012/13 im Haus an der Fuhlentwiete ebenfalls „Thaïs“ produzieren. Man darf gespannt sein, wer darin die zwei Wahnsinnspartien Athanael und die der Titelrolle singen wird.
In der soeben herausgekommenen „Manon“-Inszenierung jedenfalls hat Rahardt ein Quartett wertvoller junger Stimmen zusammengeführt, an dessen Spitze eindeutig der junge Tenor Richard Neugebauer steht, der den Freund und temporären Klosterbruder Des Grieux mit Verve, Hingabe und einem ungewöhnlich edlen Stimmvolumen singt. Die Amerikanerin Lisa Jackson (die ja schon mehrfach im Opernloft zu hören war) zeigt in der Titelrolle in hohem Maße Qualität, Sicherheit und Training. Thomas Briesemeister als reicher Brétigny und Xenia Ganz als Verkörperung der schönen Lescaut – in der wohl Manons Freundinnen der Originalfassung zusammengeführt wurden – bilden harmonisch die zweite Hälfte dieses Quartetts, das in dieser Bearbeitung von der mehr als zwanzigköpfigen Besetzung (plus Chor und Ballett) der Urfassung übrig blieb. Dennoch ist der Ablauf schlüssig. Markus Bruker, wohlbekannter musikalischer Leiter des Hauses, sorgt darüber hinaus für Stilsicherheit.
Dass die Handlung ins Heute transponiert wurde, ist ja in unseren Tagen keine Besonderheit mehr. Ob es allerdings eine gute Idee der Regisseurin ist, die vier Rollenträger ihre jeweiligen Intentionen ungebührlich oft und langatmig von einer Video-Leinwand herab ins Publikum sprechen zu lassen, darf zumindest bezweifelt werden. Denn nur äußerst selten sind gute Sänger auch gute Schauspieler. Und daran mangelt es auch dieser in allen übrigen Aspekten gelungenen Produktion.
Text: Hans-Peter Kurr
Foto: Silke Heyer
Zu dem Thema dieser Oper ist endlich ein Roman veröffentlicht worden: Die Manon Lescaut von Turdej. Der russische Schriftsteller Wsewolod Petrow hat die auf der Oper basierende Novelle vor Jahrzehnten geschrieben, doch wurde sie erst jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt.