In Christel Brandts Laden für Theaterschminke kauften Hildegard Knef und Ida Ehre ein. Nur Gustav Gründgens wollte nicht kommen – weil sie ins falsche Theater ging. – Ein Interview mit der 1924 geborenen Christel Brandt von Friederike Gräff.
Frau Brandt, sind Sie jeden Morgen geschminkt?
Ganz wenig. Ich mache nur etwas, wenn ich Stellen auf der Haut habe und ein bisschen etwas an den Augen. Wenn man für die Haut etwas mit Fett nimmt, freut sich die natürlich, aber dann sieht man alle Linien doppelt. Künstliche Fingernägel sind eine Liebe von mir, aber die Klebe ruiniert auf Dauer den echten Nagel. Die Zeit der dicken Schminke ist auch vorbei.
Verkaufen Sie heute andere Produkte als vor 60 Jahren ?
Ich habe wahnsinnig viele Produkte, 40 Stück, und da wollen wir jetzt einige von streichen. Meine Freundin und ich haben hier schon gesessen und überlegt, ob wir sie im Katalog einfach durchstreichen oder wegschneiden. Es gibt Sachen, die früher anders waren: Gesichtswasser zum Beispiel, da gab es früher fünf, sechs verschiedene mit viel und wenig Alkohol, das gibt es heute gar nicht mehr.
Würden Sie sagen, dass die Leute auf der Straße heute weniger zurechtgemacht sind?
Ja, das ist schon so.
Finden Sie das schade?
Die Produkte haben sich ja auch geändert, die sind transparenter geworden. Bevor man etwas Verkehrtes erwischt, nimmt man ohnehin besser gar nichts.
Haben Sie sich schon früh für Kosmetik interessiert?
Eigentlich wollte ich etwas Künstlerisches studieren, damals gab es ja noch die Kunsthochschule Lerchenfeld, aber als ich mein Abitur hatte, schlossen sie. Da hat mein Vater mir die Pharmazie nahegelegt.
War das noch im Krieg?
Kurz danach. Die Zeit war noch schlechter als im Krieg, es gab nichts zu essen und Hamburg war in Trümmern. Ich habe damals in St. Georg im Krankenhaus gearbeitet. Die Engländer hatten kanisterweise Phosphor von oben gekippt und dann ist Hamburg abgebrannt. Die Menschen wussten gar nicht, was sie machen sollten, sie kriegten den Phosphor nicht von der Haut ab. Die Schwestern im Kinderkrankenhaus haben dann Kamillentee gekocht, abkühlen lassen und die Kinder hineingetaucht – das hat geholfen.
Waren Sie damals schon Pharmazeutin?
Ich habe keinen Abschluss machen können. Es gab damals im Schloss in Reinbek ein Labor mit 20 Arbeitsplätzen für Pharmazeuten und 200 Bewerbungen. Und da hat sich mein Vater die Idee mit dem Laden ausgedacht. Gucken Sie hier die Schränke an, die hat mein Vater noch alle bestellt, das war vor fast 63 Jahren: Was müssen das für gute Tischler gewesen sein. Mein Vater sagte: „Du kannst das Fachmännische, du kannst mit Kunden umgehen, dann musst du das probieren.“
Er klingt wie ein sehr entschiedener Vater.
Ja, aber er hat ja Recht gehabt. Ich hatte auch Glück. Als ich nebenbei in der Rosenapotheke arbeitete, ließ mich der Chef, der war bezaubernd, immer an die Uni nach Eppendorf, wenn es interessante Vorlesungen gab. Ich habe dann Steine an der zerbombten Uni geklopft, weil ich dachte, dass ich dann einen Studienplatz bekomme. Aber das wurde nichts.
Haben Sie die Wissenschaft später vermisst?
Ich war wissenschaftlich interessiert, ich bin ja heute noch dabei. Ich habe 40 eigene Produkte entwickelt, drüben habe ich ein herrliches Labor für die ganzen Gefäße und Chemikalien. Mein erster Laden war an der Ecke Rothenbaumchaussee / Hallerstraße. Da waren gegenüber die Tennisturniere und die ganze Prominenz hat bei mir eingekauft. Die kennen Sie alle natürlich nicht mehr – wobei Ilse Werner, Hildegard Knef und Ida Ehre vielleicht schon. Oder Gründgens.
Wenn man an Gustav Gründgens als Faust denkt, wurde damals deutlich dramatischer geschminkt als heute.
Gründgens wollte nicht bei mir hereinkommen. Der hat zu der Maskenbildnerin des Schauspielhauses gesagt: Nein, zu Christel Brandt gehe ich nicht hinein. Die ist ja Fan von den Kammerspielen. Da war er eifersüchtig. Ich habe ihn oft im Theater gesehen, er war schon sehr beeindruckend.
War er für Sie der wichtigste Schauspieler?
Die waren früher alle wahnsinnig gut. Die Ausbildungen waren insgesamt viel gründlicher. Eine Maskenbildnerin zum Beispiel musste damals sieben Jahre lernen, drei Jahre Friseur, drei Jahre Kosmetik.
Wie sind Sie zur Theaterschminke gekommen?
Das war Zufall – denn man konnte ja eigentlich nicht wissen, dass es da einen Bedarf gab. Mein Mann war Berliner, vermutlich bin ich deshalb einmal zu Leichner gefahren. Das ist eine uralte deutsche Schminkefirma, 130 Jahre alt. Durch ihr Grundstück verlief damals die Zonengrenze und sie haben in einer Baracke die Theaterschminke hergestellt. Später sind die Senior- und die Juniorchefin der Firma innerhalb von drei Monaten gestorben. Damals rief mich der Rechtsanwalt an und sagte: „Ich mache weiter.“ Ich sagte: „Natürlich, das Kaufmännische machen Sie mit links, aber was ist mit der Chemie?“ Und richtig, nach einem Jahr war Schluss. Aber vor ein paar Wochen habe ich einen Prospekt bekommen, dass ein neuer Käufer gefunden worden ist.
War es 1949 ungewöhnlich, dass Sie als Frau Geschäftsführerin waren?
Das war durch den Krieg häufiger geworden. Es sind ja Tausende Männer gefallen oder verrückt geworden. Da hat man gar nicht mehr darüber nachgedacht.
Waren Sie ein Familienbetrieb?
Nein, mein Mann war Journalist. In früheren Zeiten hatte ich bis zu sechs Angestellte, es war ja so viel zu tun. Heute ist hier Stille. Ich habe zu meiner Freundin gesagt: „Wann ist denn der 1., dass die Leute wieder Geld kriegen?“
Ist Karneval eine gute Zeit für das Geschäft?
Nicht in Hamburg. Neulich war ein kleiner Junge hier, guckte mich an und sagte: „Das möchte ich Ihnen mal sagen, das ist egal, was wir feiern, Hauptsache wir feiern.“
Wie es scheint auch mit Kunstblut. Sie haben gleich zwei Sorten dort im Regal stehen.
Das war einfach nötig, für Krimis, für Theateraufführungen. Wahnsinnig viel gebraucht wurde es auch in der Sanitäterausbildung. Die schminken jemanden so, dass er schwer verletzt aussieht und dann muss der Auszubildende gucken, was für eine Verletzung es sein kann. Eine Firma hat einen Film gemacht über Verkehrsunfälle, dafür mussten sie literweise Blut auf die Straße gießen. Da habe ich angefangen, das monatelang zu testen.
Ist es kompliziert in der Herstellung?
Es gibt in Deutschland ein Gesetz, nach dem man in Kosmetik nur Lebensmittelfarbe verwenden darf, also für Blut Himbeer und Erdbeer. Zum Schluss tue ich immer ein bisschen Schokobraun dazu. Die Konsistenz sollte etwas zähflüssig sein: Blut aus der Vene spritzt nicht, es sickert nur, deshalb habe ich gemahlene Seide dazu getan.
Ihr Kunstblut scheint sich gut zu verkaufen.
Neulich wollte eine Firma sieben Liter. „Was machen Sie mit sieben Litern?“, fragte ich. „Wir stehen auf der Bühne, tanzen, machen Musik und dann wird mit einem Zerstäuber Blut dazwischengespritzt.“ Geschmacklos ist das schon zum Teil.
Was ist das für eine Metalldose dort drüben?
Darin rühren meine Freundin und ich abends Puder. In der Dose sind drei kleine Metallkugeln, die man kreisen lässt. Nach dem Krieg musste man ja vieles selber machen, da habe ich das alles gelernt.
Haben Sie Stammkunden?
Wenn die Kunden aus Hamburg wegziehen, dann lassen sie sich die Kosmetik nachschicken. Es ist ja so, da muss man ehrlich sein: Wir sind zusammen alt geworden, natürlich sind da Lieblinge bei. Ich habe Düfte, die zum Teil fast 100 Jahre alt sind, zum Beispiel „Soir de Paris“, das gibt es sonst nirgendwo.
Kommen auch Männer zu Ihnen?
Ich habe schon ganz früh Augen-Gel hergestellt, weil das viel besser ist als schwere Cremes. Das ist das Lieblingsprodukt der Herren geworden. Es kommen viele Transvestiten zu mir, die fühlten sich anderswo oft falsch verstanden. Ich habe Wimpern noch und nöcher. Und diese Schminke hier empfehle ich gegen die Bartstoppeln, sie lässt sich gut streichen.
Das Interview von Friederike Gräff mit Christel Brandt erschien zuerst am 29. Januar 2012 in der „taz.nord“. An dieser Stelle herzlichen Dank für die freundliche Genehmigung der „taz – die tageszeitung“ für die Erlaubnis, den Text in vollem Umfang zitieren zu dürfen.
Christel Brandts „Parfümerie – Spezialgeschäft für Theater und Foto-Make-Up“ befindet sich in der Grindelallee 178 (www.christel-brandt.de).