Die Welt ist ein Haifischbecken. Diese brutale Halbwahrheit hört man leider allenthalben, wo es gilt, die Sinnfälligkeit des „Schulungsplaneten“ Erde oberflächlich infrage zu stellen. Und da die Zahl der Haifische – metaphorisch gesprochen – sich seit den 20er Jahren, in denen Bertolt Brecht und Kurt Weill ihre Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ schufen, offensichtlich beträchtlich vermehrt hat, ziert ein Gruppenbild dieser niedlichen Geschöpfe den Rücksetzer der Bühne in der Hochschule für Musik und Theater, aus deren Studentenschaft sich ein Ensemble rekrutieren ließ, das hohe Achtung verdient.
Regisseur Florian-Malte Leibrecht hat, statt der von Brecht gewünschten Spruchbänder – mit deren Hilfe das jeweilige Bild thematisch eingeleitet wurde – einen Sprecher engagiert, der noch manch andere (zumeist aktuelle) Texte von sich gibt. Gern angereichert mit Formulierungen, die das heute so beliebte Wort „geil“ beinhalten. Leibrecht hat in seiner zügigen und spannenden Inszenierung auch auf die fünf Demonstrationszüge, die Brecht für das Finale vorgesehen hatte, verzichtet und lässt sie aus dem Off singen.
Entscheidener ist, dass ein gesellschaftspolitisch so wichtiges Werk wie „Mahagonny“ seit seiner Uraufführung vor ca. 80 Jahren nicht nur nichts von seiner Wichtigkeit verloren, sondern bedauerlicherweise an Aktualität gewonnen hat. Deshalb kann man es nur als verdienstvoll bezeichnen, dass dieses Bekenntnis zu „Wie man sich bettet, so liegt man“ heute mit künstlerischem Nachwuchspersonal so eindruckvoll auf die Bühne gebracht wird, wie es in diesen Tagen im Forum der Hochschule geschieht. Kämpfen sie doch alle – nicht nur für sich – um eine lebenswerte Zukunft, da wir uns – neuerlich und globally – in einer Situation befinden, in der die Aktien fallen, die Gewerbesteuer absinkt, die Kämmerer Kassandra-Rufe ausstoßen und die Parlamente Treibjagden auf jene parasitären Untiere veranstalten, die Zuschüsse fressen und damit dem Ausgleich der Wirtschaftspläne im Wege stehen. In der Vermittlung jener Erkenntnis liegt die Qualität dieses Abends ebenso wie in der künstlerischen Realisation.
Da der Rezensent die sogenannte B-Premiere erlebt hat, bedarf es darüber einiger weniger Randnotizen:
1. ist Steinunn Skjenstadts Verkörperung der Jenny herausragender Bewunderung würdig. Sie ist glanzvoll an die Seite einer Olive Moorefield zu stellen, die dortselbst vor einem halben Jahrhundert die Jenny sang.
2. Markus Meyers originelles Bühnenbild (mit absenkbaren Segmenten weit in den Zuschauerraum hineingebaut) überzeugt nicht nur durch die geschickte optische Fortsetzung einer heutigen amerikanischen Straßenlandschaft mit Über- und Unterführungen, wie man sie etwa in Los Angeles erleben muss.
3. bietet diese szenische Lösung sehr häufig die Möglichkeit, die Sänger vor den Klangkörper der Hamburger Symphoniker zu positionieren, deren Volumen unter dem Dirigenten Siegfried Schwab häufig zu gewaltig gerät und die Sänger überdeckt.
4. haben wir einen prächtigen Hochschulabend erlebt, der das alte Buckwitz-Wort wieder einmal bewies: „Education, also (auch künstlerische) Erziehung basiert auf dem lateinischen Wort E-ducere. Wörtliche Übersetzung: aus einem Menschen „herausführen“, was in ihm steckt. Das ist den Leitenden dieser Produktion in Bezug auf ihre begabten Studenten durchaus gelungen.
Text: Hans-Peter Kurr
Foto: Anna Philipp
Weitere Vorstellungen finden am 12., 14., 16. und 25. Juni jeweils um 19.30 Uhr statt;
außerdem am Sonntag, 24. Juni, um 16 Uhr.