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Wie Hitler zu seinem Bärtchen kam

George Taboris „Mein Kampf“, Ernst Deutsch Theater
Mein Kampf

Dicke Freunde: der junge Adolf Hitler (Tonio Arango) und der jüdische Lebenskünstler Shlomo Herzl (Peter Kremer).

„Du denkst zu viel – hauptsächlich Blödsinn“, befindet der jüdische Wanderverkäufer Shlomo Herzl über seinen neuen Freund Adolf Hitler im Männerwohnheim in der Wiener Blutgasse, anno 1906. Bei ihm gäbe es nur entweder oder, wirft Herzl dem Neuankömmling aus Braunau am Inn vor. Dennoch nimmt sich der freundliche lebenserfahrene Jude des unreifen, verklemmten Provinzlers an, kämmt ihm die Haare, stutzt ihm seinen Schnauzer auf ein kleines Bärtchen, versucht ihm Manieren beizubringen.

Von der Bekanntschaft des jungen Hitler mit dem jüdischen Lebenskünstler handelt George Taboris 1987 uraufgeführtes und seitdem gern gespieltes Stück „Mein Kampf“, das derzeit im Ernst Deutsch Theater zu sehen ist.

Ein beachtliches Stück, weil ein jüdischer Autor, dessen Vater in Auschwitz umkam und dessen Mutter nur knapp diesem Schicksal entging, mit dem Grauen des Nationalsozialismus’ Schabernack treibt, den jungen Hitler als lächerliche Figur darstellt, über die man auch wirklich lachen muss. Und der in seiner Unbeholfenheit mitunter nicht unsympathisch wirkt. Tabori hat sein Stück „einen theologischen Schwank“ genannt, in dem es um die Liebe geht, die himmlische, die erotische und die sexuelle. Herzl liebt Hitler, der Gretchen begehrt, die Geliebte von Herzl. Ausgerechnet Tabori wagt es, Hitler als Mensch zu zeichnen, versucht damit zu zeigen, dass fest betonierte Urteile über bestimmte Menschengruppen nie stimmen. „Das Stück ,Mein Kampf‘ ist vielleicht der extremste Fall, um das zu untersuchen“, sagte der 2007 verstorbene Tabori.

Doch obwohl er Hitler zunächst als mitunter herumschreienden, aber letztlich naiven Tölpel darstellt, über den die freundlichen Mitbewohner nur lächeln können, verdeutlicht Tabori auch unmissverständlich, wer Hitler werden wird. Der Ungeliebte mit seinen rassistischen Vorurteilen, den die Kunsthochschule mangels Talent nicht aufnimmt, redet schon mal ohne Punkt und Komma und liebäugelt mit der Weltherrschaft. Herzl liefert ihm dazu noch den Titel für sein späteres furchtbares Buch. Der jüdische Freund will selbst eins über sein Leben schreiben und nennt es schließlich „Mein Kampf“. Als Hitlers junger Mitstreiter Himmlischst, dessen Name auf den späteren Reichsführer SS verweist, genüsslich ein Huhn tranchiert und in der Pfanne bruzzeln lässt, nachdem wir zuvor lebendiges Geflügel erlebt hatten, ist die Anspielung auf künftiges Grauen schon nicht mehr zu übersehen, zumal es im Text auch noch unterstreichend heißt: „Wenn ihr beginnt, Vögel zu verbrennen, werdet ihr enden, Menschen zu verbrennen.“ Am Ende holt Frau Tod Hitler ab, aber nicht als Opfer, sondern als idealen Weggefährten.

Torsten Fischer nutzt in seiner Inszenierung viele Anspielungsmöglichkeiten auf den künftigen Hitler, lässt Hitler-Darsteller Tonio Arango frühzeitig schreien und wild gestikulieren und macht damit zu früh klar, was kommen wird. Schade, denn Arango weiß dem späteren „Führer“ viele Facetten abzugewinnen, überzeugt mal als verklemmter Provinzler, mal als besserwisserischer Vielredner mit Weltherrschaftsambitionen oder mit Verstopfung auf dem Topf. Taboris wunderbaren, ebenso schalkhaften wie deutlichen Text aber, setzen vor allem Peter Kremer als lebenskluger, resignativer Shlomo Herzl und Dimosthenis Papadopoulos in der Rolle des jüdischen Kochs Lobkowitz, der sich für Gott hält, gekonnt um. Das ist bester jüdischer Humor, souverän serviert mit Sinn für den feinen Wortwitz, der in ihm steckt. So bleibt ein fantastisches Stück mit schauspielerischen Glanzpunkten, dessen Inszenierung aber die Schrecken, auf die es hinweist, nicht treffend genug herausarbeitet.

Text: Christian Hanke
Foto: Oliver Fantitsch

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