Da wird der berühmte Filmklassiker nach dem ebenso berühmten Roman „Professor Unrat“ wohl auf unterhaltsam-schlüpfriges Tingeltangel reduziert? So könnten Theaterfreunde und Kunstbeflissene denken. Tingeltangel schon. Dafür steht bereits das Bühnenbild. Ein großes Karussell auf einer eigens für diese Inszenierung installierten Drehbühne. Bunt wird’s. Rummelplatz lässt grüßen. Doch Regisseur Klaus Gendries ist für seichtes Boulevardtheater nicht zu haben. Zwar ist „Der blaue Engel“ nicht seine erste Inszenierung für die Wölffer’schen Bühnen aus Berlin, zu denen die Komödie in Winterhude gehört, doch stets hat er Umfeld und wirkliche Figuren dabei im Blick. „Volkstheater“ nennt er das. Volkstümliche Figuren wie den Kohlenpaul, den braven Soldaten Schwejk oder Heinrich Zille hat er so auf die Bühne gebracht. Immer mit Walter Plathe in den Titelrollen. „Wir kennen uns seit Jahrzehnten“, erzählt Gendries. In einigen Fernsehserien, so im insbesondere für Plathe legendären „Landarzt“, arbeiteten sie bereits zusammen.
So ist es ein Selbstgänger, dass Plathe nun auch den Professor Unrat verkörpert, den Prototyp des spießigen Akademikers aus der Kaiserzeit, der an einer Tingeltangel-Tänzerin zugrunde geht.
In einer Fassung von Peter Turrini, die sich an dem Filmdrehbuch von Carl Zuckmayer, Karl Gustav Vollmöller und Robert Liebmann orientiert. „Der Film setzte im Gegensatz zum Roman von Heinrich Mann auf die Psychologie der Beziehung zwischen Unrat und Lola und blendete das gesellschaftliche Umfeld des Kaiserreichs weitgehend aus, das bei Heinrich Mann im Vordergrund stand“, erklärt Klaus Gendries. „Die Filmproduzenten“, so Gendries, „waren bemüht, gesellschaftliche Bezüge zu reduzieren.“ Der Film und Turrinis Version betonen die Lebenstragödie in der Komödie. Gendries hofft sein Publikum bei aller rummeligen Unterhaltung, unter anderen mit den Friedrich-Hollaender-Songs aus dem Film, dafür zu sensibilisieren, dass „hier ein Mensch zugrunde geht“. Dafür hat er die Figur eines stummen Clowns ausgebaut, der im Film nur einen kurzen Auftritt hat. Der schaut nur zu, wie das Publikum.
Und wer verkörpert die verführerische Lola, deren Darstellung Marlene Dietrich den Durchbruch zur steilen Karriere verschaffte? Man glaubt es kaum: Stefanie Dietrich. Nomen est omen?
Christian Hanke