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Werteverfall bei Mustermanns

„Der Wind macht das Fähnchen“, Komödie Winterhuder Fährhaus
Der Wind macht das Fähnchen

Sibylle (Rabea Lübbe) und Tim (Philipp Weggler): Miteinander reden ist ok, aber mit den Eltern?

„Guten Morgen, guten Morgen, guten Morgen Sonnenschein“, trällert Nana Mouskouri, und die Mustermann-Zwei-Kind-Familie posiert zum Gruppenfoto. Stolz in der Mitte Vater Holger, schon recht selbstbewusst Tochter Sibylle. Sohn Tim dagegen ängstlich auf dem Arm der entschlossen blickenden Mutter Petra. Noch ist die Welt in Ordnung für die vier, deren weiteres Schicksal Philipp Löhle in seinem vor einem halben Jahr uraufgeführten Stück „Der Wind macht das Fähnchen“ verfolgt. In der Regie von Harald Weiler hatte es nun im Theater Kontraste, im kleinen Saal der Komödie Winterhuder Fährhaus Premiere.

Neun zusammengestellte Tische bilden die Spielfläche in der Mitte des Raumes. Darauf vier Stühle und die Familie fährt in den Urlaub – im Dienstwagen des Vaters. Die Kinder kabbeln sich mit den Eltern, die Tochter ist vater-, der Sohn mutterorientiert. So wie es bei Mustermanns in den 1980er Jahren eben war. Als Vaters Job dem Internet zum Opfer fällt, bricht die Familie auseinander. Schulzeit und Pubertät der Kinder fallen mit Neuorientierungen der Eltern zusammen, die an den beiden Enden der Tischfläche sitzen und um die Gunst der Kinder feilschen, die nur eines wollen: zu beiden Eltern zurück. In der letzten Dekade finden Mutter (Meike Harten) und Vater (Konstantin Graudus) wieder zueinander. Papi hat wieder Arbeit. Doch der Familienzerfall ist nicht mehr aufzuhalten. Denn nun regiert das Geld. Davon verdient Sibylle (Rabea Lübbe) mit einem Modelabel am meisten. Die Eltern verarmen und stehen sich irgendwann im Puff gegenüber. Der Werteverfall bei Mustermanns ist perfekt. Tim (Philipp Weggler), der eigentlich Dichter werden wollte, wird Polizist und beendet das einstige Familienidyll mit einem bizarren Einsatz in Uniform: „Guten Morgen, guten Morgen, guten Morgen Sonnenschein!“

Harald Weiler hat das kurze Stück, das die Umwälzungen von den 1980er Jahren bis heute teilweise klischeehaft anreißt, aber mit treffend komischen Dialogen punktet, äußerst kurzweilig und einfallsreich inszeniert – mit vier sehr guten, wandlungsfähigen Schauspielern, die nicht nur die vier Familienmitglieder punktgenau verkörpern. Ein feiner Sommerspaß irgendwo zwischen Komik und Tragik – natürlich für die ganze Familie.

Text: Christian Hanke
Foto: Oliver Fantitsch

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