Wenn eine lange Sommernacht auf dem Kiez erst einmal begonnen hat, scheint es niemand mehr besonders eilig zu haben. Auch die Mords-Krimi-Premiere im Schmidt Theater beginnt dann eben erst um 20.20 Uhr. Das herrlich plüschige Haus ist ohnehin allabendlich proppenvoll, am Premierenabend treffen einander dort zusätzlich mindestens fünfzig Schauspieler und Schauspielerinnen, begrüßen sich mit „Hallo und Küsschen“, als hätten sie sich, die doch in der Regel noch vormittags bei Proben, TV-Aufnahmen oder in Synchronstudios beieinanderwaren, seit Jahrzehnten nicht gesehen.
Einer der zwei Direktoren, in diesem Fall Norbert Aust, macht in aller Ruhe (obwohl er lautstark verkündet, wie nervös er sei) die Honneurs, um dann von der Bühne herab den anwesenden südafrikanischen Autor Andrew Frater zu begrüßen. Der Plot zu diesem wüsten Krimi ist ihm angeblich in seiner Studentenzeit eingefallen. Auch der deutsche Übersetzer Marcus Flügge ist anwesend, dessen Transponierung ebenso zahlreiche saftige Unflätigkeiten enthält wie Ingrid Dohses ungemein tempogeladene Inszenierung, die in ihrer geräuschvollen Kackhaus- und Wehgeschrei-Sinfonie keinerlei akustische Dezenz kennt.
Aber merkwürdig: In diesem Klamaukstück passt es. Man fühlt sich ein wenig an Jörg Plevas Molière-Inszenierung von „Der eingebildet Kranke“ am Ernst Deutsch Theater erinnert, in der er den von ihm selber gespielten Titelhelden pausenlos furzen ließ.
Licht- und tontechnisch ist das Ganze perfekt gelöst wie stets bei Corny Littmanns Stammtruppe, die jener denn auch am Ende der Vorstellung höchstpersönlich belobigt. Soll man die Story dieses Klamauks, in dem es hinter der Bühne – wegen der notwendigen Schnellumzüge der Darsteller – zugehen muss wie in einem Ameisennest, wirklich erzählen? Gut, in Kürze:
Ein unter dem Pantoffel seiner Gattin lebender Ehemann fährt mit ihr in ein einsames Landhaus, um sie dort umzubringen und zu beerben. Seine Geliebte wartet dortselbst und hat im Garten bereits ein Grab geschaufelt. Aber der Mordplan muss immer und immer wieder vertagt werden, weil nacheinander ein Immobilienmakler, eine Polizistin, ein liebestolles, frischverheiratetes Pärchen und ein transsexueller Friseur dort auftauchen. Das überraschende Finale ist allerdings so toll, dass es hier nicht verraten werden soll.
Das Personal besteht aus vier Schauspielern: Marina Zimmermann und Reinhard Krökel spielen nur je eine Rolle, sie köstlich-weiblich die Geliebte Scarlett, er den stets ratlosen Gatten George. Nik Breidenbach macht seine Drei-Rollen-Aufgabe als Friseur, Makler und Jung-Ehemann Bill zu einem Klamaukfest sondergleichen, das nicht zu beschreiben ist. Wer’s mag … Honi soit qui mal y pense!
Aber: Susi Banzhaf, diese hochbegabte Susi, deren Stern schon vor Jahren in der Shirley-McLaine-Rolle des „Appartement“-Musicals am Altonaer Theater zu glänzen begann, sie ist an diesem klamottigen Abend die einzige, der man wirklich die Berufsbezeichnung „Schauspieler“ legitimer Weise anheften kann: Die drei von ihr gespielten Figuren sind so haarscharf auseinanderpsychologisiert, dass es von Anfang bis Ende ein Vergnügen ist, sie bestaunen zu dürfen: Die gefühlsrohe, aber sexbesessene, autoritär-hexige Ehefrau Dorothy, die jungvermählte Nymphomanin Barbara, der nichts wichtiger ist, als von ihrem Ehemann sexuell bedient und befriedigt zu werden und die tumbe Polizistin, die’s auch gern einmal mit einer Frau probieren möchte, sind bei Banzhaf Studien, die eines niveauvolleren Sujets würdig wären.
„Bis dass dein Tod uns scheidet“, dienstags und donnerstags bis sonnabends um 20 Uhr, mittwochs und sonntags um 19 Uhr bis zum 29. September im Schmidt Theater.
Text: Hans-Peter Kurr
Foto: Oliver Fantitsch